Ursula Sladek, atomfrei energisch

Sie wollte die Gesellschaft verändern und legte Hand an: Ursula Sladek hat das erste Unternehmen für erneuerbare Energien in Deutschland gegründet und ist dafür mit dem Goldman Umwelt-Preis ausgezeichnet worden.

Veröffentlicht am 2 Mai 2011 um 15:36

Vor 25 Jahren, unmittelbar nach der Katastrophe von Tschernobyl, die eine radioaktive Wolke aus dem sowjetischen Reaktor über ganz Europa zur Folge hatte, warf die Nachricht über diese Tragödie Fragen auf nach der schädlichen Strahlung und deren Auswirkungen auch Tausende Kilometer von Russland entfernt. Damals stützte sich das westdeutsche Wirtschaftswachstum fast ausschließlich auf Atomenergie und Kohle.

Der Energiemarkt war bestimmt vom Monopol einiger weniger Unternehmen, die die meisten lokalen Stromnetze kontrollierten. Zwar war die Anti-AKW-Bewegung im Laufe der 80er Jahre bereits sehr aktiv und wurde von der Bevölkerung getragen, aber die großen deutschen Energieunternehmen boten den Verbrauchern keinerlei Alternativen zur Kernenergie an.

Für Ursula Sladek, Mutter von fünf Kindern aus dem kleinen Ort Schönau im Schwarzwald war die Katastrophe von Tschernobyl ein ernstzunehmendes Signal. Sie und ihre Nachbarn waren alarmiert durch die Berichte über die radioaktiven Rückstände, die auf Spielplätzen, in Gärten, auf Höfen und auf landwirtschaftlichen Anbauflächen gemessen wurden. Auf einmal wurde der Alltag der Familie Sladek auf den Kopf gestellt: was vor Ort angebaut und verarbeitet wurde, konnten sie nicht mehr essen und die Kinder konnten nicht mehr draußen spielen.

Konzerne verhindern Mitsprache der Bürger

Als Reaktion darauf suchten Ursula, ihr Ehemann und andere Eltern eine Möglichkeit, um ihren Ort weniger abhängig von Atomenergie zu machen. So erfuhren sie am eigenen Leibe, wie die großen Energiekonzerne die Mitsprache der Bürger verhinderten.

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Die Mobilisierung der Zivilgesellschaft nach Tschernobyl hat gezeigt, dass die Atomenergie zwar einigen Sicherheitsstandards zufolge als "grüne Energie" bezeichnet werden könnte, die damit zusammenhängenden Risiken aber besorgniserregend sind. Ursula Sladek erfuhr auch, dass Atomenergie nicht die einzige Option ist. So begann die engagierte Gruppe ihre Arbeit an einem Vorhaben, das über zehn Jahre laufen sollte: sie übernahmen zunächst das lokale Energieversorgungsnetz und boten in einem zweiten Schritt Menschen aus ganz Deutschland die Wahl einer Energie an, die sicher und nachhaltig erzeugt wird.

Aus der besorgten Mutter Ursula Sladek ist die Gründerin und Vorsitzende eines der ersten Unternehmen in Europa geworden, das wirklich grüne Energie erzeugt. Nach 20 Jahren ist das Unternehmen heute in der Lage, die Energie für über 100.000 Privathaushalte und Betriebe in ganz Deutschland zu liefern, darunter auch an den bekannten Schokoladenhersteller Ritter Sport.

Atomenergiefreie Zone im Schwarzwald

Am Anfang bildeten Sladek und ihre Mitstreiter eine "atomenergiefreie Zone" im Schwarzwald. Die Bürger wurden sensibilisiert, besonders auf ihren Energieverbrauch zu achten und kritisch zu hinterfragen, wie diese wohl erzeugt wird. Dies schlug sich zunächst in einem drastischen Rückgang des Energieverbrauchs vor Ort nieder. Mehr noch, die Menschen zeigten besonderes Interesse an alternativer, nachhaltiger Energieerzeugung. Im Jahr 1991 musste KWR, der örtliche Energieversorger in Schönau seinen Lizenzvertrag mit der Kommune erneuern.

Zu diesem Zeitpunkt starteten sie eine nationale Spendenkampagne, die sie dabei unterstützen sollte, das Energienetz selbst zu übernehmen. In zwei Referenden entschieden die Bürger, dass Sladek und ihre Mitstreiter das Energienetz übernehmen sollten. Mit den 6 Millionen DM (ca. 3 Millionen Euro), die eingenommen wurden, konnte Sladek das Stromnetz von KWR kaufen. Zusammen mit ihren Partnern gründeten sie die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und wurden selbst zum Energieanbieter. Im Jahr 1997 konnten sie das Stromnetz der Stadt Schönau übernehmen.

Soziale Verantwortung

Von Beginn an war das erklärte Ziel von EWS, am Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung in Deutschland mitzuwirken, indem man nachhaltige Energie nutzt und dadurch die dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energien finanziell unterstützt, seien es nun Solaranlagen, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für Privathaushalte (Strom und Wärme), kleine Wasserkraftprojekte, Windenergie oder Biomasse. EWS konzentriert sich auf die Energieeffizienz und motiviert alle Kunden, selbst zur Reduktion des globalen Energieverbrauchs beizutragen.

Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen EWS und den herkömmlichen Energieanbietern. Das Unternehmen arbeitet eher wie eine Non-Profit Organisation, die ihre Einnahmen für Umwelt- und Sozialprojekte einsetzt. Die Firma hat über 1.000 Anteilseigner, die kleine Dividende beziehen und die Gewinne in erneuerbare Energiequellen reinvestieren oder für Aufklärungskampagnen einsetzen, um weitere deutsche Städte dazu zu motivieren, eigene kommunale Energiewerke zu gründen.

Eine Million Kunden bis 2015

Die deutsche Regierung hat nun selbst die nachhaltigen Ideale der Firma EWS übernommen und sich bis 2050 zum Ziel gesetzt, 100 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. EWS konnte dank der öffentlichen Unterstützung und der politischen Maßnahmen, die die Investitionen in erneuerbare Energien deutschlandweit gefördert haben, weiter wachsen.

Heute ist Sladeks Ziel, bis 2015 über eine Million Kunden zu gewinnen. Das Beispiel Ursula Sladeks macht deutlich, dass es alternative Lösungen gibt, um die Risiken der Atomenergie einzudämmen. Diese Lösungen kommen aber nicht von den großen Investoren, die auf schnellen Profit aus sind (diesen Profit können alternative Energiequellen nicht sichern, schon gar nicht in dem Ausmaß wie die Atomenergie). Die Verringerung der Energieabhängigkeit braucht Zeit und das direkte und aktive Engagement der Bürger. Jener Bürger, denen – wie Ursula Sladek – die Zukunft ihrer Kinder am Herzen liegt.

Aus dem Rumänischen von Ramona Binder

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