Verzweifelt und resigniert

Die Griechen sind ratlos – sie sind ausgepowert durch die ständig neuen Sparpläne und glauben nicht mehr an ihre Regierung. Während der Populismus immer weiter um sich greift, geht die Europhilie rasant zurück, berichtet der Sonderberichterstatter von Libération in Athen.

Veröffentlicht am 3 Mai 2011 um 14:34

Ein Zwischenfall, der sich kürzlich ereignete, wurde totgeschwiegen, um dem Image von Ministerpräsident Giorgos Papandreou nicht zu schaden. Dieser verbrachte Ostern – in Griechenland das Fest schlechthin, eine Art Konzentrat aus Weihnachten und Sylvester – auf Hydra, einer schicken Insel vor dem Peloponnes, eineinhalb Stunden von Athen entfernt. Am Karfreitag, dem 22. April, ging Papandreou zur Messe anlässlich der sogenannten „Aussegnung des Toten“, und zwar nicht in der kleinen Kathedrale im Hafen, sondern, diskreter, in einer der zahlreichen Kirchen in der Stadt. Unmittelbar nach seinem Eintreffen wurde er von den Gläubigen angepöbelt, die ihm seine Sparpolitik vorhielten. Die Situation spitzte sich zu, und der Regierungschef musste von der örtlichen Polizei evakuiert werden.

Noch vor wenigen Monaten konnte derselbe Mann am Marathon von Athen teilnehmen, nur von zwei Sicherheitsoffizieren begleitet, und die Menge applaudierte ihm. Seitdem hat sich das Klima stark verschlechtert. Die Griechen verlieren zunehmend die Hoffnung: die Arbeitslosigkeit schnellt in die Höhe, die Löhne fallen und ein kleines Unternehmen nach dem anderen schließt. Von den Sparplänen, die seit einem Jahr unaufhörlich aufeinander folgen, wird ihnen übel – erst am 15. April wurde der neueste angekündigt.

Schlechte Nachrichten aus allen Ecken

Nach drei Jahren wirtschaftlicher Rezession hat jetzt bei der Moral eine Flaute eingesetzt. „Die Stimmung ist hoffnungslos“, so ein europäischer Diplomat. „Es gibt nur schlechte Neuigkeiten, egal, wo sie herkommen“, seufzt Léna, die mehrere Geschäfte in der Nähe des Syntagma-Platzes im Zentrum Athens besitzt. „Wie sollen die Leute in einem solchen Umfeld Lust haben, zu konsumieren, selbst wenn ihr Lohn nicht gesunken ist? Das stimmt wirklich, denn als die griechischen Medien vier Tage lang streikten, verbesserte sich die Moral, und der Konsum lebte erneut auf …“

„Nicht die Opfer und Veränderungen sind für die allgemeine Depression verantwortlich, sondern die Tatsache, dass kein Resultat erzielt wird und somit kein Ende der Krise absehbar ist“, meint der einflussreiche Leitartikler Yanis Prétendéris. „Es gibt noch keinen sichtbaren Beweis dafür, dass Griechenland endlich über einen organisierten Staat verfügt“, bestätigt Léna, die allerdings einen Rückgang der Korruption feststellt. Wahrscheinlich, weil die Griechen kein Geld mehr haben, um die Fakelaki (kleine Umschläge) zu füllen: „Die Rezession hat die Korruption vernichtet“, lacht Prétendéris.

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„Wir wussten, dass 2011 schwieriger sein würde als 2010,“ beschwichtigt ein europäischer Diplomat. „Wir haben Opfer gebracht, aber die Ergebnisse sind noch nicht sichtbar. Die Umsetzung der Reformen ist mühsam, der Staat bleibt ineffizient, und die Reichen entkommen nach wie vor weitgehend der Steuer …“ Daher die derzeit vorherrschende Stimmung.

„Die EU denkt nicht an das Volk, sondern an die Wirtschaft“

Die Bürger „werfen Papandreou seine Inkompetenz vor, seine Unfähigkeit, das Land grundlegend zu verändern“, so Prétendéris. Deprimiert hat jedoch nichts mit Revolte zu tun, auch wenn Streiks und Demonstrationen gegen die Sparpolitik immer schneller aufeinander folgen (2010 wurde das Stadtzentrum von Athen nach Angaben der Polizei 496 Mal ganz oder teilweise gesperrt). „Das Land steht nicht am Rand der Depression“, so Yannis Prétendéris.

Ilias Iliopoulos, Generalsekretär der Adedy (wichtigste Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes), und Giorgos Pontikos, Sekretär für internationale Beziehungen der Pame, eine der KKE (stalinistisch orientierte kommunistische Partei Griechenlands) nahestehende Gewerkschaft, kommen zur selben Diagnose: „Es herrscht allgemein Überdruss, von einer Revolution ist Griechenland jedoch weit entfernt.“ Die Demonstrationen sind im Übrigen bei weitem nicht überlaufen. Die „Wut“ könnte anders zum Ausdruck kommen, nämlich in den Wahlurnen: die sozialistische Partei Pasok liegt zwar laut Meinungsumfragen nach wie vor an der Spitze, hat jedoch mit 21 Prozent seit 2009 23 Punkte verloren.

Mit den Konservativen der Neuen Demokratie vereinen die beiden wichtigsten Parteien, die das Leben des Landes bestimmen, nur noch rund 40 Prozent der Wähler gegenüber bisher rund 80 Prozent. Populismen aller Art profitieren von der Krise, insbesondere KKE und Laos (Nationalisten). Eine Begleiterscheinung ist der freie Fall der Europhilie: „Die Union denkt nicht an das Volk, sondern an die Wirtschaft“, bemerkt wütend Ilias Iliopoulos, der zum „patriotischen Zusammenhalt“ als Mittel gegen die Sparpolitik aufruft.

Aus dem Französischen von Angela Eumann

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