Portugals Regierungschef José Sócrates spricht beim Kongress der Sozialisten in Matosinhos bei Porto, 10. April 2011.

Karges Neues Jahr

Das EU/IWF-Rettungspaket für Portugal wird wahrscheinlich nicht so harte Auflagen mit sich bringen, wie die Portugiesen das befürchtet haben. Aber wenn das Land einen echten Neustart vollbringen soll, wird sich einiges ändern, warnt das Jornal de Negócios.

Veröffentlicht am 4 Mai 2011 um 15:31
Portugals Regierungschef José Sócrates spricht beim Kongress der Sozialisten in Matosinhos bei Porto, 10. April 2011.

Als der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei PSD Pedro Passos Coelho Brüssel vor einigen Monaten bat, Portugal noch ein Jahr zum Abbau seines Defizits einzuräumen, wurde er als unreif und unverantwortlich beschimpft und galt als destabilisierender Einfluss. Gestern wurde Portugal genau das gewährt, worum der Oppositionsführer gebeten hatte. Das ist sehr erfreulich. Was tun wir jetzt aber, damit ein Jahr mehr nicht einfach noch ein Jahr wird?

Erst heute werden Einzelheiten über das Sparprogramm bekanntgegeben, das der IWF, die EZB und die EU ausgearbeitet haben. Es dürfte einschneidender sein als das Stabilitäts- und Wachstumsprogramm PEC IV. Aber wohl nicht ganz zu hart wie das legendäre PEC V. Jetzt klopfen die Politiker sich erst einmal selbstherrlich auf die Schulter. Das Spiel „es ist alles ihre Schuld“, wurde zum „es ist alles unsere Verdienst“.

Die Spieler sind dieselben: die sozialistische, die konservative und die Volkspartei. In der Tat sind es drei Spieler, denen Portugal die gestern versprochene Hilfe schuldet. Das Dreierteam besteht aber aus dem IWF, der EZB und der EU. Ein wenig Dankbarkeit wäre daher wohl eher angebracht als Stolz.

Die Rettung ist autoritär

Die Rettungsaktion in Griechenland war autoritär, verbittert und improvisiert. In Portugal wird sie nur autoritär sein. Die Troika räumte uns ein zusätzliches Jahr für den Defizitabbau ein, nicht etwa aus Mitleid, sondern weil sie meint, dass ihr Plan so sicher aufgehen würde.

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Der gestrige Jubel des Ministerpräsidenten José Sócrates ist völlig fehl am Platz. Wäre es nicht angebrachter, sich für das Sparprogramm, das wir bereits eingeführt haben, und die neuen Maßnahmen, die uns noch bevorstehen, ein bisschen zu schämen? Aber Wahlkampfzeit ist Karnevalszeit, da ist eben alles erlaubt. Politiker sind auch nur Masken.

Den gestrigen guten Nachrichten werden heute die Einzelheiten folgen. Es gibt dreierlei Maßnahmen: Haushaltskürzungen, um das Defizit und die Schulden abzubauen, Konjunkturmaßnahmen zur Förderung des potenziellen Wirtschaftswachstums und Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystems. Den Ruheständlern werden die Renten über 1.500 Euro gekürzt. 1,4 Millionen Haushalte der Mittelschicht werden mehr Einkommenssteuer zahlen (durch begrenzte Abzüge für Gesundheit und Bildung).

Privatisierungen zu Schleuderpreisen

Der Staat wird alles, was er kann, zu Schleuderpreisen privatisieren. Arbeitslosengelder werden gesenkt, und Entlassungen werden billiger. Unterstützungen für den Wohnungskauf werden reduziert. Die Banken werden gezwungen, Kredite spärlicher fließen zu lassen. Die Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel werden unter Druck gesetzt. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer zur Kompensierung der niedrigeren Sozialabgaben der Unternehmen wird geprüft.

Und wozu all das? Um ein Land, das auf dem Bauch liegt, auf den Rücken zu kehren. Das Dreigespann verhält sich nicht wie ein Zerberus, der Schulden eintreibt. Es beschert uns, wie wir heute sehen werden, einen strategischen Plan, der unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger und gerechter machen soll. Die konservativ eingestellten Portugiesen werden erschauern. Aber heute sind die Liberalen an der Macht. Sie sind keine Portugiesen, wurden nicht von Portugiesen gewählt, sind aber an der Macht.

Besser das Leben ändert sich, als die Währung

Die Banken werden darunter leiden, dürften jedoch keine Liquiditätsengpässe verzeichnen. Die zur Verfügung gestellten flüssigen Mittel werden dann in die Wirtschaft gepumpt, mit Auflagen versteht sich. Die Arbeitsgesetze werden flexibler gestaltet, die soziale Mobilität wird verbessert, die Lohn- und Gehaltserhöhungen werden nicht mehr von der Inflation, sondern von der Produktivität abhängen, wir werden lernen, in einer nominalen Wirtschaft zu leben, ohne Hebelwirkung. Die Unternehmen in geschützten Sektoren werden ihre Privilegien verlieren und sich dem Wettbewerb stellen müssen. Das Justizsystem wird hoffentlich auch reformiert.

Wir haben ein Jahr für diese Aufgabe. Das ist eine ausgezeichnete Neuigkeit. Vergnüglich wird es wohl nicht. Es dürfte unser Leben ändern. Aber besser das Leben, als die Währung, die Souveränität oder das Land. Glückliches Neues Jahr.

Aus dem Portugiesischen von Claudia Reinhardt

Standpunkt

Portugal braucht wieder europäische „Peitsche“

„Portugal erlebt heute seinen Tag X. Die Missionschefs der Europäischen Kommission, der EZB und des IWF, die Portugals Wirtschaft vor drei Wochen einer akribischen Untersuchung unterzogen, werden heute die Auflagen der 78 Milliarden Euro-Hilfe zur Rettung Portugals vor dem Bankrott bekanntgeben“, schreibt Teresa de Sousa in Público. Portugal würde sonst keine Möglichkeit mehr haben, um in der Währungsunion zu bleiben und seine „Verarmung und politische Marginalisierung zu vermeiden“.

De Sousa vergleicht die heutige Situation Portugals mit der im Jahr 1986, als viele meinten, das Land würde die europäische „Peitsche“ brauchen und müsse deshalb der EU beitreten. „Wir brauchen wieder die europäische Peitsche“, meint sie, „aber diesmal gibt es kein ‚brasilianisches Gold‘“. Sie gibt sowohl der portugiesischen Regierung als auch Europa die Schuld an der Krise: „Die portugiesische Regierung wollte den aufziehenden Sturm nicht sehen und dachte dann, sich ohne politische Kosten aus der Klemme ziehen zu können, während Europa nicht dazu fähig ist, der Krise mit einer umfassenden, kohärenten Vision zu begegnen“.

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