Wer profitiert von den Eurogerüchten?

Seit mehreren Wochen laufen die Drähte heiß. Fehlinformationen über die griechische Wirtschaft sind zuhauf im Umlauf. Athen ist destabilisiert. Wer profitiert von diesen Meldungen, fragt Libération.

Veröffentlicht am 9 Mai 2011 um 13:38

Washington, 17. April. The Institute of International Finance, ein Forum, in dem Banken, Investoren, Geld- und Finanzinstitutionen vertreten sind, tagt. In den Gängen ist Nouriel Roubini zu sehen, ein amerikanischer Ökonom, der dafür berühmt ist, dass er die Subprime-Krise vorausgesagt hatte. Doch er ist auch Vorsitzender der Firma RGE Monitor, die (teure) „Beratung“ an Investoren verkauft, und setzt sich voll und ganz dafür ein, seine Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass eine Umstrukturierung der griechischen Staatschulden imminent ist.

Er beruft sich auf etliche Treffen mit Giorgos Papakonstantinou, dem Finanzminister in Athen, und gibt zu verstehen, dass dieser bereits eine Umschuldung beantragt habe. Obwohl Papakonstantinou ein paar Minuten vorher in seiner Ansprache beteuerte, von einer Umstrukturierung sei keine Rede. Roubini will den Markt orientieren: Seinen Angaben nach gehe man kein Risiko ein, auf einen griechischen Zahlungsausfall zu setzen.

Und tatsächlich, wenn alle ins selbe Horn stoßen, wird seine Vorhersage auch eintreffen... Eine vom selben Tag datierte Depesche der Presseagentur Dow Jones versichert, Griechenland schlage „eine Umstrukturierung seiner Schulden vor“, und stützt sich dabei auf anonyme Quellen, die genau die Aussagen von Roubini wieder aufnehmen. Dadurch werden diese wiederum glaubhaft gemacht. Die „Info“ wird von der Finanzpresse übernommen.

Kriminelle Gerüchte?

Und schon herrscht Sturm auf den Märkten. Es wird mehrere Tage dauern, bis wieder Ruhe eintritt. Am Freitag geht alles wieder von vorne los: Spiegel-Online enthüllt, dass am Abend in Luxemburg eine „geheime Krisensitzung“ der Finanzminister der Eurozone stattfinden soll. Diesmal soll „der mögliche Austritt Griechenlands aus der Währungsunion“ besprochen werden. Aber sicher doch. Keine Quellenangabe, doch das hindert die Agenturen nicht daran, die Meldung zu verbreiten. Der Euro fällt.

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Der Spiegel erhielt seine Informationen wahrscheinlich von einem Vertrauten der Regierung und der FDP – die entschieden gegen die Rettung Athens eingestellt ist – aber sie traf nicht zu. Es sollte mit Papandreou über den griechischen Anpassungsplan diskutiert werden. Solche Zusammenkünfte sind in Krisenzeiten gang und gäbe. „Wir haben nicht über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone gesprochen. Wir finden alle, dass das eine dumme Entscheidung wäre“, wie Juncker erklärt. Für den griechischen Ministerpräsident Giorgos Papandreou grenzen diese Gerüchte an Kriminalität.

Wer profitiert von diesem „Verbrechen“? Diejenigen, die gegen Athen sind. Und dabei insbesondere diejenigen, die griechische CDS (credit default swaps, Absicherungen gegen den Kreditausfall von Schuldnern) gekauft haben und ihren Einsatz nur wiederbekommen werden, wenn dieser Ausfall eintritt. Und dann gibt es noch diejenigen, die selbst in Griechenland verschuldet sind oder ihr Geld aus dem Land geholt haben und denen eine Rückkehr zur Drachme gelegen käme. Die Gerüchteküche versiegt noch lange nicht.

Aus dem Französischen von Patricia Lux-Martel

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