"Wir nehmen Totnes-Pfund." Schaufensterscheibe in Totnes (Transition Network)

Totnes, Pionier der grünen Autarkie

Eine kleine Stadt im Südwesten Englands hat alles mobilisiert, um unabhängig von der Außenwelt leben zu können. Das Ziel: Der Konsum von transportierten Produkten, die eine schlechte Kohlendioxid-Bilanz aufweisen, soll reduziert werden.

Veröffentlicht am 18 August 2009 um 14:00
"Wir nehmen Totnes-Pfund." Schaufensterscheibe in Totnes (Transition Network)

Auf den ersten Blick ist Totnes eine kleine englische Stadt wie so viele andere: 8500 Einwohner, eine Burg, ein Markt, blumengeschmückte Pubs, eine Hauptstraße, Läden und Supermärkte, derselbe behäbige provinzielle Rhythmus, dasselbe griesgrämige Landvolk, das ein argwöhnisches Auge auf die Londoner wirft, die hier ihre Zweitwohnsitze kaufen und darin ein mondänes Stadtleben führen... absolut typisch.

Doch Totnes ist anders, ganz anders! Es ist die am weitesten fortgeschrittene "Transition Town" (etwa: "Stadt des Übergangs") der Welt, der Vorreiter einer Bewegung, die sich – angesichts der zweifachen Herausforderung des Klimawandels und des bald zu Ende gehenden günstigen Erdöls – zum Ziel gesetzt hat, ihren Energieverbrauch zu reduzieren und ihre Kohlendioxodbilanz zu senken. Die kleine Gemeinde will die Autarkie erreichen.

Totnes war der ideale Nährboden für eine Revolution, die vor nur vier Jahren in Kinsale (Cork, Irland) begann, als eine Gruppe von Studenten im Aufbaustudium zu diesem Thema eine Untersuchung anstellte, deren Schlussfolgerungen schnell von der örtlichen Stadtverwaltung übernommen wurden, mit eben diesem Ziel. Professor Rob Hopkins, der an der Durchführung dieser Untersuchung teilnahm, beschloss dann, sich in seiner Heimatregion niederzulassen, um dort seine Ideen umzusetzen, und zwar in Totnes, einer Kleinstadt in der Grafschaft Devon im Südwesten Englands. Mit seiner Bevölkerung aus hippie-angehauchten Akademikern der gehobenen Mittelklasse, die über eine enorme Kaufkraft verfügen und deren Interessen zugleich konventionell und alternativ sind, war Totnes schon als die Hochburg des New Age Chic bekannt.

Das Totnes-Pfund

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Was an der internationalen Hauptstadt der Transition Towns überrascht, ist die Tatsache, dass Totnes eine eigene Währung besitzt: das Totnes-Pfund. Insgesamt wurden 10.000 Ein-Pfund-Noten gedruckt (ein Totnes-Pfund entspricht einem Pfund Sterling), die in den rund hundert teilnehmenden Geschäften angenommen werden. Das Ziel ist ganz klar: Es sollen lokal hergestellte Produkte in den Geschäften der Stadt gekauft werden, um die Energieverschwendung (Transport usw.) zu begrenzen und die Kleinunternehmen zu unterstützen. Parallel dazu wurde ein Punktesystem zum Tausch von Gütern und Dienstleistungen aufgebaut, das nicht auf den Konventionen der formalen Ökonomie basiert.

An vier Automaten in der Innenstadt können Pfundmünzen in Totnes-Pfund-Noten gewechselt werden. Die Initiative löste zunächst eine gewaltige Polemik aus, durch ihre Unterscheidung zwischen den teilnehmenden, solidarischen Unternehmen und den anderen – insbesondere denjenigen, die zu Ketten gehören und deren von auswärts kommende Kunden keine Währung verwenden wollen, die im ganzen Land sonst nirgends gültig ist. "Es stimmt schon, dass sich da ein Unterschied bildet: einerseits diejenigen, die bewusst lokal einkaufen, und andererseits diejenigen, die anderen Modellen folgen. Das ist unvermeidlich", erklärt Noel Longhurst, ein Pionier der ersten Stunde beim Verein Transition Town Totnes.

Exportmodell

Transition Towns gibt es in Großbritannien, Irland, Kanada, Chile, Australien, Neuseeland und in den USA. Sie stehen für eine Bewegung, die am Rand der etablierten Mächte existiert, jedoch die Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden sucht. Sie sind im allgemeinen auf die Initiative von vier bis fünf engagierten Personen zurückzuführen, die sich zugleich darum kümmern, die philosophischen Ideale (die die Bewegung untermauern) bekannt zu machen und eine Strategie auszuarbeiten. Sie föderieren die Bewegung durch die Erstellung einer Website mit lokalem Fokus, sie veranstalten Seminare, Vorträge in den Schulen, Filmvorführungen oder Bürgerforen. Sie verstärken auch die Kontakte mit den Politikern und dem örtlichen Handel usw.

Um offiziell als Transition Town anerkannt zu werden, müssen sich die Städte und Dörfer einer Art Prüfung unterziehen. Ein Abgesandter der von Rob Hopkins aufgezogenen Bewegung muss vor Ort eine Schulung durchführen und sich versichern, dass die Stadt eine kleine Vereinigung besitzt, die über die simple ehrenamtliche Tätigkeit hinausgeht. Weiter dürfen keine Konkurrenzprobleme oder interne Unstimmigkeiten das Projekt beeinträchtigen. Laut Hopkins "ist das häufigste Problem die Skepsis derjenigen, die meinen, dass uns die großen Unternehmen und die lokalen Eliten gnadenlos niedertreten, falls wir ihren Interessen schaden – eine Befürchtung, die sich bis jetzt nicht bewahrheitet hat. Andere meinen, dass schon die ökologischen politischen Parteien das Terrain des Umweltschutzes besetzen und dass unsere apolitische Position uns der Gefahr ausliefert, von Extremisten aufgefangen zu werden, die sich dann unser Programm aneignen wollen."

Das Endziel von Totnes, wie das aller Transition Towns, ist, die Produktion, den Vertrieb und den Konsum wieder auf der lokalen Ebene zu halten, damit der Großteil der Arbeitsplätze von den Anwohnern besetzt wird und damit Nahrungsmittel, Energie und Wasser innerhalb der Gemeinde produziert werden. Longhurst zufolge, "muss auf weltweiter Ebene gedacht, aber auf lokaler Ebene gehandelt werden. Sich auf die Krise vorbereiten, ohne seine gute Laune aufzugeben".

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