Demonstrant in Amsterdam: "Extremist - fügt Ihnen und Ihrer Gesellschaft ernsthafen Schaden zu", 19. Januar 2008.

Spiel nicht mit den Populisten

Breivik ist für seine Gräueltaten selbst verantwortlich. Doch der rechtspopulistische Nährboden hat dafür gesorgt, dass der Mann so viele wahnsinnige Ideen ernten konnte. Das sagt viel über den geistigen Zustand Europas aus, meint ein niederländischer Historiker.

Veröffentlicht am 26 Juli 2011 um 14:58
Demonstrant in Amsterdam: "Extremist - fügt Ihnen und Ihrer Gesellschaft ernsthafen Schaden zu", 19. Januar 2008.

Nach den grausigen Anschlägen von Anders Breivik debattiert Norwegen über die Beziehung des Mörders zu den ideologischen Kreisen, denen er angehört. Hatten nicht einige bei vorherigen Anschlägen — den Mord an Theo van Gogh [2004] — die Glaubensgenossen des/der Täter zur Rechenschaft gezogen? Wenn also Muslime verantwortlich gemacht wurden, sollten wir nun die Vertreter rechtextremen Gedankenguts, deren Anhänger Breivik ist, nicht genauso behandeln?

Es werden nur wenige Menschen sein, die Breiviks Morde rechtfertigen oder gutheißen. Für seine Taten ist er ganz allein verantwortlich. Einzig die Menschen, die seine Gräueltaten ideologisch verantworten oder dulden, kann man nun zur Rechenschaft ziehen. Wie alle diejenigen, die die gewalttätige Ideologie von Mohammed Bouyeri — dem Mörder Van Goghs — teilten, zur Rede gestellt wurden. Aber das ist nicht alles.

Verzerrtes Weltbild ohne gesellschaftliche Wirklichkeit

Die Rechtfertigung von Breiviks Gewalt entstammt einer Realitätswahrnehmung, für die Europa von Multikulti und vom politischen Islam bedroht ist. Sein 1500-Seiten Manifest „2083, eine europäische Unabhängigkeitserklärung“ ist mit Thesen der neuen rechtsextremen Szene gespickt, die in den Niederländen von der Freiheitlichen Partei PVV vertreten werden. Im Wesentlichen geht es dabei um ein verzerrtes Weltbild, nach dem Europa durch den Islam bedroht würde.

Breivik zitiert Geert Wilders, dass die Marokkaner die Niederlande kolonisieren würden. Sie kämen nicht, um sich zu integrieren, sondern um die Niederländer zu unterwerfen. Die Theorien über die Gefahren eines „kulturellen Marxismus“ ist ein weiterer Punkt, der von einigen Mitgliedern der Freiheitlichen Partei geteilt wird.

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Es ist ein verzerrtes Bild der Realität und hat nichts mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun. Es war dieses Weltbild, was Breivik seine gewalttätigen Schlussfolgerungen ziehen ließ. Dafür ist er selbst verantwortlich. Aber dass so viele wahnsinnige Ideen zusammenkommen konnten, sagt viel über den geistigen Zustand Europas aus. Und über die Niederlande, wo eine Bewegung, die solche Ideen teilt, via ein Duldungsabkommen an der Regierung beteiligt ist.

Das Schaffen von Schreckensbildern ist nicht unschuldig

Breiviks Gewalt war seine Tat. Dafür ist er allein verantwortlich. Aber sein wahnsinniges, verrücktes Weltbild teilt er mit anderen. Alle diese Anhänger müssen nun zur Rede gestellt werden. Das Verbreiten von Lügen, das Schaffen von Schreckensbildern, die keiner Wahrheit entsprechen, sind nichts Unschuldiges.

Wer die Wahrheit verdreht, darf nicht ernsthaft als eine unter vielen Stimmen in der öffentlichen Debatte wahrgenommen werden. So etwas muss streng geahndet werden. Es ist erforderlich, das Irreführen von Menschen zu stoppen. Das gilt auch für die niederländischen Populisten, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten. Die Zeit des Spielens ist vor bei. Es ist Zeit für die Wahrheit.

Aus dem Niederländischen von Jörg Stickan

Gegenstimmen

Vorsicht vor der politischen Instrumentalisierung

„Zuviel Politik schadet der Politik“, warnt Maroun Labiki in Le Soir. In seinem Leitartikel betont er, dass für den spanischen Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero das Massaker von Norwegen „eine europäische Antwort erfordert, eine gemeinsame Antwort, um die Demokratie zu verteidigen.“ Ein Sprecher der Sozialistischen Partei Frankreichs prangerte den „ideologischen Schock der Zivilisationen und die Unvereinbarkeit der Kulturen“ an, die zu „Hass und Terrorismus“ führen würden. „Die politische Debatte ist ein Wert für sich. Die politische Instrumentalisierung hingegen macht aber jene, die sich ihrer hingeben, nicht größer“, schreibt der Journalist und erinnert daran, dass es sich „um einen Einzeltäter“ handele. „Es war keine faschistische Miliz, die im Gleichschritt die Insel Utøya überfallen hat.“

„Hüten wir uns davor, rechtsextremes Gedankengut oder Rechtspopulismus zu banalisieren. Sie sind eine Gefahr für die Demokratie, und letzterer eine größere als man glaubt, da seine Vereinfachungen das traditionelle konservative Lager und die öffentliche Debatte kontaminieren“, fügt der Journalist hinzu, dennoch, „sollte man bei Sinnen bleiben.“

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