Nachrichten Endstation für den Euro 1/4

Berlin bereitet Euro-Ausstieg vor

Am Abend seiner Wiederwahl erfährt Nicolas Sarkozy, dass die parteiinternen Gegner von Angela Merkel ihren Sturz vorbereiten und aus dem Euro aussteigen wollen. Kurz darauf erklärt das deutsche Bundesverfassungsgericht den permanenten Stabilitätsmechanismus für rechtwidrig. Le Monde beschreibt das gar nicht so unwahrscheinliche Ende der Gemeinschaftswährung... als Politfiktion.

Veröffentlicht am 12 August 2011 um 13:46

Sonntag, 6. Mai 2012. Nicolas Sarkozy wird mit 69,3 Prozent als Staatspräsident wiedergewählt. Seine Gegnerin, Marine Le Pen, Chefin des (rechtsextremen) Front National bekommt 30,7 Prozent. Es ist 22 Uhr im Hauptquartier der Union pour un mouvement populaire, der Partei des Siegers. Letzterer hat seine Vertrauten, die Abgeordneten der parlamentarischen Mehrheit und Parteibonzen um sich versammelt. Man erwartet bei den anstehenden Parlamentswahlen einen Erdrutschsieg der Sozialisten und Frontisten. Selten hatte ein Sieg einen derart bitteren Beigeschmack.

Umringt von zwei Leibwächtern durchquert der amerikanische Botschafter Charles Rivkin die Menge, um zum Präsidenten zu kommen. Dann verschwinden die beiden Männer.

Eine Stunde später, vor seinen Vertrauten, kramt der Präsident ein DIN A4-Blatt aus der Tasche, und legt es wortlos auf den Tisch. Man sieht ein verschwommenes Bild im Format von 15x9 cm. Es zeigt Konrad Adenauer und den klotzigen Bau des Kanzleramtes. „Meine Herren, ich stelle vor: die neue D-Mark. Einige Millionen Scheine werden sich bald im Lager einer mecklenburgischen Druckerei stapeln. Botschafter Rivkin ist kategorisch: Die Deutschen werden ihre eigene Währung drucken“, sagt der Präsident. Eisige Stille im Raum, die letztlich vom Präsidenten gebrochen wird.

Er fährt fort: „Ich zitiere Rivkin Wort für Wort: „Sollten die Nationalisten in der CDU und die Liberalen vorgezogene Neuwahlen durchsetzen, dann fängt der Countdown an. Es blieben nur sechs Monate bis zum Absturz des Euro" Diese Spinner sind dabei, dass Programm von Le Pen umzusetzen. Mit der werde ich fertig. Aber jetzt? Die Liberalen, Katholiken und Sozis! Was denn sonst noch! Ich hatte fünf Jahre gebraucht, um Angela Merkel an der Schulter berühren zu können, ohne dass sie zusammenzuckt. Ich kann doch nicht mit dem Zauberstab die Umfragewerte in Deutschland umkehren!“ sagt er genervt.

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„Egal ob wahr oder falsch, der Euro geht bergab. Und wir verlieren die Kontrolle. Durch und durch. Ich wünsche niemanden, so einen Mist managen zu müssen. Vor allem mir nicht“, führt der Präsident fort. „Auch Obamas Wiederwahl steht auf dem Spiel. Wenn er das Risiko eingeht und uns diese Information liefert, dann hat er gute Gründe dafür.“

Wenn das, was Rivkin sagt stimmt, und die Kanzlerin von einem Trupp euroskeptischer Abgeordneter aus ihren eigenen Reihen vor den Wahlen 2013 gestürzt werden sollte, dann bleibt dem Staatspräsidenten keine andere Wahl, um die Gemeinschaftswährung zu retten: Er muss seiner „Freundin“ Angela einen Freundschaftsbeweis geben.

Freitag, 11. Mai 2012, 14 Uhr. Der Korrespondent der Irish Times sitzt vor seinem Laptop und durchstöbert die tägliche, ausführliche Presseschau der Europäischen Kommission. Endlich kommt die heiß erwartete Depesche: „Laut Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts verletzt der permanente Stabilitätsmechanismus die Haushaltshoheit des Parlaments... Die Richter entschieden, dass das Gesetz vom 21. Dezember 2011, welches den neuen Artikel 136 des Lissabon-Vertrags zur Schaffung eines permanenten Stabilitätsmechanismus ratifiziert, nicht verfassungskonform sei“, liest Charles Leesby auf seinem Monitor.

„Hast du das gesehen, Charles“, fragt ihn sein Nachbar und Kollege von El Pais.

- Hab ich.

- Wollen die alles hochgehen lassen, oder was?

- Möglich.

- Hast du diesen Kerber getroffen, der die Klage eingereicht hat?

- Ich hab ihn letztes Jahr in Berlin interviewt. Meine Zeitung wollte aber nichts draus machen. Sie fanden, er sei „eine nebensächliche Randfigur“.

Die Argumentation des Professors für öffentliche Finanzen an der Technischen Universität Berlin Markus Kerber und der rund fünfzig Nebenkläger, die sich im Verein Europolis zusammengetan haben, war sehr einfach. „Die deutsche Zustimmung zur einer Europäisierung der Währung“ sei verraten worden. Europa sei von einer Union des Rechts zu einer Transferunion geworden. Finanziell natürlich. Dieser Akt der „Solidarität — Begriff den der Professor zurückweist — sei ein Blankoscheck, für den der deutsche Steuerzahler aufkommen müsse.

„Unsere Berufungsklage ist eine Klage gegen die Verletzung unserer Grundrechte, unserer Eigentumsrechte und unser Recht auf demokratische Partizipation“, hatte Kerber Leesby erklärt. Er bezog sich vor allem auf die Finanzhoheit des Bundestags. Eine relevante Frage, nicht nur in Deutschland. In Zeiten klammer Staatshaushalte, in der sich niederländische oder französische Abgeordnete um ein paar Tausend Beamtenposten oder um das Überleben einiger Krankenhäuser stritten, beschlossen ihre Regierungen einige Milliarden oder Hunderte von Millionen Euro für Griechenland oder Portugal bereitzustellen.

Kerber hat gewonnen, denkt Leesby, als ein Piepton auf seinem Handy ihm den Eingang einer SMS meldet.

++ extraordinary ecofin meeting Saturday 12. Arrivals from 11 am. Background briefing Friday 6 pm ++

Einmal mehr wird er ein ganzes Wochenende im Juste Lipse vor seinem Monitor verbringen müssen.

Fortsetzung folgt

Aus dem Französischen von Jörg Stickan

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