Eine Touristin sitzt am "New Crown and Anchor", einem englischen Pub in Santa Susanna, Spanien.

Droht dem britischen Rausch bald das Ende?

Nach den Krawallen an der Costa Brava und Balkon-Toten auf Mallorca wollen die spanischen Behörden härter gegen den Alkohol-Tourismus vorgehen.

Veröffentlicht am 31 August 2011 um 16:04
Eine Touristin sitzt am "New Crown and Anchor", einem englischen Pub in Santa Susanna, Spanien.

Jahrzehntelang haben die Spanier die ausländischen Touristen und ihren übersteigerten Alkoholkonsum auf die leichte Schulter genommen. Damit ist nun Schluss. Nachdem die Polizei im August Gummigeschosse auf betrunkene und amoklaufende Nachtschwärmer feuerte, welche die Schaufenster der Stadt einschlugen und einen Polizeiwagen in Brand steckten, ist die Party in einer der symbolträchtigsten spanischen Massentourismus-Metropolen, Lloret de Mar an der Costa Brava, nun endgültig vorbei. In den zwei Krawall-Nächten, die bis in die Morgenstunden anhielten, wurden 20 Menschen verletzt, darunter neun Polizisten. Die 20 Personen, die festgenommen wurden, sind alles Ausländer, was in einer Stadt, die 40.000 Einwohner, 25 Discos, 261 Bars und jedes Jahr etwa eine Million Touristen zählt, Bände spricht.

Anlässlich der ganz ähnlichen Ausschreitungen von 2004 hatte der damalige katalanische Innenminister den Ausdruck „Saufgelage-Tourismus “ geprägt und versprochen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Nachdem der in Spanien lebende fünfzehnjährige Brite Andrew Milroy unlängst vor einem Nachtclub erstochen wurde, erklärten die Behörden, dass sie es nun wirklich ernst meinen. „In dieser Sache sind wir ganz unten angekommen“, sagte der Bürgermeister von Lloret de Mar, Roma Cadina, und erklärte: „Wir werden die Bars mit dem größten Konfliktpotential schließen und öffentliche Prostitution verbieten.“ Obendrein werden wir die Öffnungszeiten der Discos verschärfen und härter gegen den Alkoholkonsum Minderjähriger vorgehen. Außerdem wurde das Polizeiaufgebot massiv erhöht.

Aber kaum ist es in Lloret de Mar ruhiger geworden, kommt es anderswo zu Unruhen. Die Behörden der Balearen warnten kürzlich vor einer neuen Welle von Toten: „Balconing“ heißt das tödliche Spiel, bei dem betrunkene Touristen von den Balkons ihrer Hotelzimmer in den darunterliegenden Pool springen. Beim Sprung aus ihren Hotels auf Ibiza und Mallorca verletzten sich allein in diesem Jahr mehr als zwölf Personen. Drei kamen ums Leben: Zwei Briten und ein Italiener, alle drei zwischen 20 und 30 Jahre alt. Mallorcas Hotelbesitzer erklärten, dass höhere Balkongeländer installiert und sie mit Wänden voneinander getrennt werden sollen. Außerdem wurden Aufklärungskampagnen in den Heimatländern der Touristen gefordert. Zudem gibt es nun sogar Prospekte, in denen auf die Gefahren hingewiesen wird, die entstehen, wenn man sich kopfüber aus Gebäuden stürzt.

In Magaluf musste man bis vor kurzem nicht einmal trinken, um betrunken zu werden. In mehreren Bars und Discos der Stadt beschlagnahmte die Polizei am 25. August sechs „Oxy-Shot“-Maschinen, die Alkohol gasförmig machen, den der menschliche Körper zehn- bis fünfzehnmal schneller aufnehmen kann als in seiner flüssigen Form. Dieser letzte Schrei auf Mallorca wurde nun verboten. Der Toxikologe Jose Cabrera erklärt: „Oxy-Shots können die Lungen zerstören, weil sie im Gegensatz zur alkoholfilternden Leber keine Möglichkeit haben, die Giftstoffe zu eliminieren.“

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Natürlich legen nicht alle ein solch schlechtes Benehmen an den Tag. „Der Großteil der Touristen macht ganz einfach Urlaub und verlebt eine gute Zeit“, erklärt ein Spanier, der mir nur seine Initialen MLC verrät. Er liefert Bier nach S’Arenal und Magaluf, die seit zwölf Jahren zwei wichtigsten deutschen und britischen „Ghettos“ auf Mallorca, wie sie die Spanier getauft haben. „Mir ist allerdings aufgefallen, dass die Hardcore-Trinker jünger sind, vielleicht fünfzehn oder sechzehn. Sie trinken mehr und viel ungestümer als früher. Niemals würde ich allein in diese Ghettos vordringen. Das ist mir zu unheimlich. Aber damit meine ich nur die Briten. Die Deutschen sind schon okay: Sie trinken nur und schreien sich die Seele aus dem Leib. “

Natürlich ist es samstagnachts um ein Uhr auf dem „die britische Plaza“ getauften Platz in Benidorm alles andere als ruhig. Was als Erstes auffällt: Niemand spricht hier Spanisch. Ganz zu schweigen von den unzähligen Plakaten und Schildern in englischer Sprache, die für Bier, Pastete und Fußball werben. Lange Schlangen torkelnder Junggesellen bahnen sich ihren Weg vorbei an riesigen Ansammlungen trinkender Leute, die sich draußen vor den Bars gebildet haben, die alle englisch klingende Namen wie Piccadilly, Carnaby Street oder The Red Lion tragen.

Man trinkt – sehr viel – aber trotzdem scheint es allen gut zu gehen. Nirgends kann ich eine Rauferei entdecken. Und es gibt sogar ein paar Familien, die mit ihrem sechs- oder siebenjährigen Nachwuchs umherirren. Wenn es zu Unruhen kommt, so geschieht das nur an bestimmten Orten, behaupten die britischen Anwohner. „Um ‚die britische Plaza‘, wo die ganzen Jungs sich übergeben und umfallen“, erzählt Tracy, die im Duke of Wellington kellnert, einem der ältesten englischen Pubs von Benidorm.

Das versprechen sich Nordeuropäer also von ihren billigen, alkoholgetränkten Ferien, die sie gerade einmal 200 Euro pro Woche kosten. Derweil musste ein halbes Dutzend der bekanntesten 5-Sterne-Hotels in der Gegend um Alicante in den vergangenen drei Jahren schließen. Andere wurden auf drei oder vier Sterne herabgestuft. „Inzwischen gibt es Happy-Hours, die sich bis zum Mittag hinziehen“, verrät mir MLC.

In Barcelona – dem drittbeliebtesten Reiseziel für britische Junggesellen – wurden Happy Hours vor zwei Jahren verboten. In Benidorm und anderen Ferienorten hat der absurde Krieg um die Preise allerdings absurde Ausmaße angenommen. Zum Spottpreis von 4 Euro erhielt man in Benidorm letzte Woche zwei Wodka Cubata (spanischer Longdrink, der gewöhnlich drei oder viermal so groß ist wie in Großbritannien). Und „bis das erste Tor im Punktspiel geschossen wurde“ kostete ein halber Liter Bier nur 1 Euro.

Jedoch entdecken die Spanier nun, dass solche Angebote ein zweischneidiges Schwert sind. Billiger Fusel kurbelt zwar das Geschäft an, macht die Leute aber auch zu rücksichtslosen, aggressiven und unvernünftigen Draufgängern. Und bis dieses ganz besonders alkoholhaltige Rätsel nicht gelöst wird, werden sich diese Trendsetter nur schwer unterbinden lassen.

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