Ahlbeck - Świnoujście (deutsch-polnische Grenze), der Grenzzaun reicht meterweit ins Meer hinein. Photo: www.atelier-limo.eu.

Unsichtbare Grenzen filmen

Der Dokumentarfilm Frontière Intérieure zeigt sieben Porträts von Europäern entlang der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westeuropa. In ihren Augen lebt eine Grenze wieder auf, die heute unsichtbar ist. Ein Gespräch mit den Regisseuren, zwei französischen Studenten.

Veröffentlicht am 4 September 2009 um 13:22
Ahlbeck - Świnoujście (deutsch-polnische Grenze), der Grenzzaun reicht meterweit ins Meer hinein. Photo: www.atelier-limo.eu.

Sie haben ihre Arbeitsgruppe Limo genannt. Nicht Limo wie Limonade oder Limousine. Nein, limo heißt "Grenze" auf Esperanto. Hinter Limo stecken zwei junge Franzosen, Simon Brunel und Nicolas Pannetier, die nun in Berlin leben. Sicherlich kein Zufall, da in der deutschen Hauptstadt die Grenzthematik immer noch aktuell ist. Die beiden ehemaligen Architekturstudenten haben gerade ihren Dokumentarfilm La frontière intérieure ("Die innere Grenze") fertig gestellt. Eine Reise entlang der ehemaligen Grenzlinie zu den Ostblockstaaten, von der Ostsee bis zur Adria, auf der Suche nach Begegnungen mit Menschen, deren Leben von dieser heute verschwundenen Grenze für immer geprägt wurde. Olaf, Zbigniew, Vaclav oder Vanda kennen sich nicht und doch haben sie alle ihre ganz eigene Geschichte von dieser Grenze zu erzählen, die verbindet, isoliert, aber auch zerstört und wieder zusammen führt. Diesen Sommer wird die Porträtreihe an 40 verschiedenen Orten entlang der Grenze gezeigt, um zu diskutieren und voneinander zu lernen – und das ohne politische Trennlinien.

"La frontière intérieure" wird diesen Sommer entlang der ehemaligen Grenze zu den Ostblockstaaten gezeigt und kehrt damit an seinen Ursprungsort zurück. Wie kam die Idee zu diesem Projekt?

Wir waren in Graz, in Österreich, als die ehemaligen Ostblockstaaten der EU beigetreten sind. Wir wollten einfach wissen, wie genau das vor sich geht. Darum haben wir beschlossen, für unsere Diplomarbeit eine Datenbank über diese Grenze zu erstellen. Wir waren drei Monate unterwegs und sind von der Ostsee und der deutsch-polnischen Grenze aus bis an die Adria zwischen Slowenien und Italien gefahren. Das Ziel unserer ersten Etappe war es, Ton- und Bildaufnahmen, aber auch Eindrücke zu sammeln. Wir arbeiteten dabei immer nach demselben Schema an all den 238 Orten, die wir entlang der Grenze besucht haben. Es ist auch mal vorgekommen, dass wir an einem einzigen Tag vier bis fünf Mal die Grenze überquert haben!

Wie wird aus einer Diplomarbeit ein Film?

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Obwohl unser Projekt ein bisschen speziell ist, sind wir doch auf sehr positive Resonanz gestoßen. Wir haben dann Barbara Keifenheim, eine Filmemacherin und Anthropologin, getroffen, die uns ermutigt hat, einen Film daraus zu machen. Deshalb haben wir beschlossen, immer nach demselben Prinzip vorzugehen: Ein Stück Mauer – ein Ort – eine Person. Wir haben sieben Personen, die wir auf unserer ersten Reihe getroffen haben, ausgesucht und sind noch einmal zu ihnen zurückgefahren. Im November 2007 hat sich alles etwas beschleunigt, weil wir erst dann erfahren haben, dass die Grenzposten einen Monat später zerstört werden sollten. Da wollten wir unbedingt vor Ort sein.

Obwohl der Film eigentlich aus sieben Porträts besteht, ist die Hauptperson die Grenze selbst. Was ist an ihr so faszinierend?

Die Grenze ist einerseits etwas Sichtbares und zugleich etwas Unsichtbares. Man kann die Grenze nur ganz persönlich für sich selbst definieren und wir haben den Eindruck, dass sie auch deshalb ein Ort voller Widersprüche ist: Trennung und Zusammenkunft. Ein irrealer Ort, an dem verschiedene Dinge aufeinanderprallen: Eine Demarkationslinie also, die zwei Städte, zwei Länder teilt. Im Falle des Eisernen Vorhangs war es sogar die Trennung zweier ideologischer Blöcke.

Der Film ermöglicht dem Zuschauer, durch zahlreiche Länder zu reisen, und doch blieb die Sprache des Films Deutsch. Wie lief die Verständigung mit den sieben Protagonisten?Um die Authentizität der Aufnahmen sicherzustellen, wollten wir auf einen Übersetzer verzichten. Bis auf ein Mal, als die Tochter des ungarischen Museumswächters dessen Antworten übersetzt hat. Das führt auch zu sehr schönen Momenten. Wir mussten uns natürlich auf die Personen konzentrieren, mit denen wir kommunizieren konnten. Aber genau dadurch entstanden manchmal ungewöhnliche Momente, wie zum Beispiel im Gespräch mit einem polnischen Geschäftsmann, der sich mit Hand und Fuß zu verständigen suchte.

Sie machen sich jetzt mit Ihrem Film auf die Wanderung und zeigen ihn an 40 Grenzorten. Was erwarten Sie von diesen Filmvorführungen?

Das Ziel des Films ist es, an die Orte zurückzukehren, an denen er gedreht wurde. Deshalb fahren wir in die entgegengesetzte Richtung: Wir beginnen im Juli in Koper in Slowenien und beenden unsere Tour im Oktober in Polen. Ziel ist es, zum Denken anzuregen. Selbst wenn die Grenzen heute offen sind, ist Europa noch lange kein Ort, an dem Friede Freude Eierkuchen herrscht. Es gibt immer noch Sachen, die vertuscht werden und über die einfach nicht gesprochen wird, obwohl sie eigentlich auf die Tagesordnung gesetzt werden sollten. Man könnte fast sagen, dass gewisse Teile des Films provokativ sind. Er scheucht sozusagen den Ameisenhaufen auf und wir erwarten deshalb die unterschiedlichsten Reaktionen. Aber wir wollen nun mal den europäischen Dialog anregen, auch wenn das nicht immer ungefährlich ist, und hoffen, dass unser Film einen Teil dazu beitragen wird.

Von Sebastien Vannier Übersetzung: Janina Heel

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