Pessina Cremonese, 21. August 2011. Sikh bei der Einweihung eines neuen Tempels im Herzen der italienischen Landwirtschaftsregion in der Poebene

Kein Grana Padano ohne die Inder

Manche Erzeugnisse der weltweit berühmten italienischen Lebensmittelindustrie werden von indischen Arbeitern in Italiens Landwirtschaftsprovinzen am Leben erhalten. Und da regt sich nicht einmal die immigrantenhetzerische Lega Nord auf.

Veröffentlicht am 9 September 2011 um 11:53
Pessina Cremonese, 21. August 2011. Sikh bei der Einweihung eines neuen Tempels im Herzen der italienischen Landwirtschaftsregion in der Poebene

Neben geläufigen örtlichen Familiennamen wie Ferrari und Galli hat ein anderer Name zunehmend Einzug in die Telefonbücher der Provinz Cremon gehalten: Singh. In den letzten 20 Jahren haben sich indische Einwanderer aus dem Punjab in Italiens landwirtschaftlicher Hochburg niedergelassen und arbeiten dort hauptsächlich auf Bauernhöfen, oft als „Bergamini“, wie die Molkereiarbeiter im lokalen Dialekt genannt werden.

Junge Italiener akzeptieren derartige Arbeitszeiten nicht

Angeblich müsste die Produktion des Grana Padano – ein bekannter körniger Hartkäse aus der Poebene, der über die Spaghetti kommt – eingestellt werden, wenn die indischen Arbeiter in einen Streik träten. „Nun, ich weiß nicht, ob die Produktion aufhören würde, doch es würde auf jeden Fall große Schwierigkeiten verursachen“, meint dazu Simone Solfanelli, der Vorsitzende des Ortsverbands Cremona von Coldiretti, Italiens größtem Landwirtschaftsverband. „Ich kann Ihnen sagen, dass sie für die Landarbeit unverzichtbar sind“, sowie für die in der Provinz erzeugten Milchprodukte, wie er hinzufügt – jährlich rund eine Million Tonnen, circa ein Zehntel der gesamten Milchproduktion in Italien.

Die Inder, von denen viele der Sikh-Religion angehören, kamen in diese Region als gerade eine Generation von Molkereiarbeitern in den Ruhestand ging und kein Ersatz in Aussicht war. „Sie haben eine Wirtschaft gerettet, die auf den Hund gekommen wäre, weil junge Leute nicht mit Kühen arbeiten wollten“, meint Bürgermeister Dalido Malaggi aus Pessina Cremonese. Obwohl die Milchindustrie heute zum Großteil mechanisiert ist, wird dennoch an 365 Tagen im Jahr menschliche Arbeitskraft gebraucht, wie er erklärt. Die Arbeitszeit ist in zwei vierstündige Schichten pro Tag aufgeteilt, mit 12 Stunden Unterbrechung. „Junge Italiener akzeptieren derartige Arbeitszeiten nicht“, sagt er. „Sie arbeiten lieber in der Fabrik und haben abends und am Wochenende frei.“

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Es war eine glückliche Schicksalsfügung, denn viele der Einwanderer waren mit der Arbeit auf einem Bauernhof bereits gut vertraut. „Dies hier ist Molkereiland und viele von uns haben im Punjab Kühe“, erzählt Jaswinder Duhra, der seit 25 Jahren in Italien lebt und erst als Bergamino und dann für einen der bekanntesten Käsehersteller Italiens gearbeitet hat. Es gibt zwar keine offiziellen Zahlen über die Anzahl der Inder, die in den Milchbetrieben hier beschäftigt sind, doch laut Solfanelli sind von den 3000 Landarbeitern in der Provinz rund ein Drittel Inder.

Der Tempel war zu einem politisch heiklen Thema geworden

Eine Einschätzung ihrer Präsenz war letzten Monat die Einweihung des Gurduwara Sri Guru Kaldigar Sahib, eines Sikh-Tempels, der für gut 600 Personen angelegt ist (obwohl mindestens sechsmal so viele Menschen am 21. August der Eröffnungsfeier beiwohnten). Er wurde als der größte Sikh-Tempel des europäischen Festlands angekündigt. Der Tempel wurde in einem Industriegebiet gebaut, in dem auch eine Fabrik für Vakuumpumpenkompressoren und eine Wurstwarenfabrik liegen, und ist vom Stil her an Sikh-Modellen in Indien inspiriert. Doch der Weg vom Reißbrett bis zu der strahlend weißen Struktur, die zwischen den Soja- und Maisfeldern aufragt, war nicht ohne steinige Strecken.

In einer nahe gelegenen Stadt wurde die Baugenehmigung erst erteilt und dann wieder zurückgezogen, weil der Tempel zu einem politisch heiklen Thema geworden war, also wurde ein anderer Standort gefunden. Auch zehn Jahre dauernde bürokratische Hürden mussten überwunden werden, die Sikh-Gemeinde musste Geld sammeln und Darlehen finden, um den Rest des Baupreises von zwei Millionen Euro aufzubringen.

Der Bürgermeister war zwar ein aktiver Verfechter des Tempels und das Straßenschild am Ortseingang kündigt stolz an, dass Pessina Cremonese „frei von Rassenvorurteilen“ ist, doch es gab Einwände von Seiten lokaler Politiker der Lega Nord – der politischen Partei in Italien, die am engsten mit einer immigrantenfeindlichen Gesinnung verbunden ist. Eine kleine Gruppe Protestler der rechtsextremen Partei Forza Nuova demonstrierten auch, als der Tempel eröffnet wurde.

Manuel Gelmini, ein Abgeordneter der Lega Nord im Rat der Provinz Cremona, der erfolglos versuchte, den Bau des Tempels zu blockieren, weist darauf hin, seine größte Sorge sei der Kirpan, das Zeremonienschwert, das die orthodoxen Sikh tragen. „Für uns ist das eine Waffe und die Leute sollten nicht bewaffnet herumlaufen dürfen“, erklärte er. Doch bezeichnenderweise hat die Lega Nord keine offene Kampagne gegen die indischen Bergamini geführt.

40 Prozent aller indischen Einwanderer in Italien sind Frauen

Knapp 16.000 indische Einwanderer sind legal in der Landwirtschaft in Italien beschäftigt, wobei die Region Lazio zum neuesten Einwanderungspol geworden ist, insbesondere für Saisonarbeiter. „Man braucht nur 100 Kilometer aus Rom herauszufahren und schon entdeckt man eine Welt, von der meisten Menschen noch nicht einmal wissen, dass es sie gibt“, berichtet Patrizia Santangelo, eine Filmemacherin, deren Dokumentarfilm „Visit India“ über die Sikh-Gemeinde in der Provinz Latina im Oktober erstaufgeführt wird. „Sie leben oft in Lagern, wie Obdachlose, und bekommen Billiglöhne, zwei bis vier Euro pro Stunde, für 12 Stunden am Tag“, erklärt sie.

Im Norden scheint das Leben nicht so hart zu sein, zumindest oberflächlich. Viele der indischen Einwanderer sind italienische Staatsbürger geworden. Viele haben Häuser gekauft und ihre Familien hier angesiedelt. Nach Angaben des nationalen Statistikamts sind 40 Prozent aller indischen Einwanderer in Italien Frauen, doch nur ein kleiner Prozentsatz von letzteren hat einen Arbeitsplatz. In Pessina Cremonese wurde ihrer Isolation sporadisch mit Italienischkursen und Praktikumprogrammen entgegengewirkt, in anderen Städten boten Gewerkschaften ähnliche Programme an.

Viele der indischen Einwanderer ziehen auch in Italien ihre Kinder auf. „Sie arbeiten hart in der Schule, sie sind nicht so verwöhnt wie unsere Kinder“, sagt dazu Gianluigi Fiamenghi, der in seinem Milchbetrieb mit 1700 Kühen sieben indische Arbeiter beschäftigt. Einer von Fiamenghis Angestellten, Prem Singh, zog 1995 nach Italien und viele seiner Verwandten folgten ihm. Seine Frau und er haben drei Kinder, die in die Grundschule gehen. „Sie fühlen sich mehr italienisch als indisch“, sagt er und fügt hinzu, dass er nicht die Absicht hat, in sein Heimatland zurückzukehren. „Wir haben hier Wurzeln geschlagen. Es ist unser Zuhause und das ist eben so.“

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