Auf dem Schild: "Welthandel".

Peking ist kein Retter in der Not

Die Ankündigung Italiens von massivem Einfließen an chinesischem Kapital zur Unterstützung der italienischen Wirtschaft weckte Hoffnungen auf einen Eingriff Pekings zugunsten des Euro. Doch wehe falschen Hoffnungen, denn China ist ein vorsichtiger, besonnener Investor, wie La Repubblica erklärt.

Veröffentlicht am 14 September 2011 um 14:56
Auf dem Schild: "Welthandel".

Werden die Chinesen beim staatlichen Energieriesen ENI oder beim italienischen Elektrizitätsunternehmen ENEL einsteigen? Können sie einen Teil des Industriekonzerns Finmeccanica oder des Hafens von Genua erwerben? Sich bei der Bank Unicredit einkaufen, im Austausch gegen eine Ersteigerung mehrjähriger Anleihen? Und damit an die Stelle von Muammar Gaddafi treten?

Um zu verstehen, was an den diversen Szenarien wahr ist – oder ob diese Gerüchte aus Italien selbst stammen –, muss man die Landkarte der chinesischen Investitionen weltweit, die Finanzstrategien Pekings und ihre Verflechtungen mit den geopolitischen Interessen der zweitgrößten Wirtschaftsmacht rekonstruieren.

Zweierlei Anpassungsprozesse finden derzeit im chinesischen Kapitalmanagement statt: eine Diversifizierung vom Dollar hin zu anderen Währungen sowie die Verlagerung von staatlichen Titeln auf Aktienpakete von Industrieunternehmen, wenn möglich mit strategischer Bedeutung für China. Diese Anpassungen erfolgen schrittweise und dürfen keinesfalls die "Stabilität des globalen Wirtschaftssystems" gefährden.

Vorsicht bei chinesischen Geldgebern

Wer es nun eilig hat, die Kontakte zwischen Rom und Peking als „Vertrauensvotum“ der chinesischen Regierung gegenüber der italienischen Zahlungskraft auszulegen, irrt sich gewaltig. Auch der spanische Regierungschef José Luis Zapatero war darauf hereingefallen, als er zu schnell den massiven chinesischen Erwerb spanischer Anleihen angekündigt hatte, dessen Höhe sich anschließend allerdings als eher bescheiden herausgestellt hatte.

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Mitten in der Systemkatastrophe von 2008 waren die chinesischen Strategen von den Vereinigten Staaten dazu aufgerufen worden, die Rolle des "weißen Ritters", des Retters in der Not zu spielen. Daraufhin entbrannte in China eine wuterregte Polemik über die Klugheit dieses Vorgehens. Im schlimmsten Moment, als der Dow Jones auf seinen historischen Tiefpunkt gefallen war, wurden die chinesischen Manager von ihren eigenen führenden Politikern beschuldigt, nationale Mittel auf eine so riskante wie unnötige Unterstützung der amerikanischen Banken verschwendet zu haben. Heute ist die Bilanz der Aktion nicht ganz so negativ, doch die Narben sind noch da und mahnen die Verantwortlichen in Peking zur Vorsicht.

Die Spieler in dieser Partie sind zwei Finanzkolosse. Zunächst das „Mutterhaus“, der Staatsorganismus, der wie ein echtes Ministerium die Geldreserven der Landesbank verwaltet. Diese Reserven sind das Ergebnis jahrelanger Aktiva, die China im Handel mit dem Rest der Welt angesammelt hat, es sind die reichsten der Welt: 3,2 Milliarden Dollar [2,3 Milliarden Euro]. Das Akronym der State Admission of Foreign Exchange – "SAFE", das englische Wort für "sicher" sowie für "Tresor" – ist eine effiziente Synthese ihre Investmentphilosophie.

Bei dem Tempo, mit welchem die Reserven der chinesischen Landesbank wieder durch neue Handelsaktiva flottgemacht werden, hat der SAFE allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 275 Milliarden Dollar [200 Mrd. Euro] investiert. Wenn er wollte, könnte er also alle bis Ende des Jahres fällig werdenden italienischen Anleihen zeichnen. Doch eben das wäre nicht sehr "safe" und ist somit der Grund, warum die chinesische Zentralbank weiterhin den Großteil ihrer Reserven in amerikanische Schatzbriefe investiert.

Übertriebene Erwartungen

Was die Diversifizierung der Währungen weg vom Dollar betrifft, so privilegiert die Zentralbank in Peking, um "safe" zu bleiben, Titel aus Deutschland und Japan, die alle als solide Anlagen betrachtet werden. Die wiederholten Ankündigungen, China werde massiv Anleihen aus den Mittelmeerländern aufkaufen, haben sich immer als übertrieben herausgestellt. Im Juli 2010 hatten Gerüchte über einen Unterstützung Spaniens eine kurzzeitige Auswirkung auf die Märkte gehabt (die SAFE hatte damals 500 Millionen Zehnjahresanleihen gekauft, eine bescheidene Anlage).

Im Oktober 2010 hatte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao, Athen besucht und auch dort waren die Erwartungen eines massiven Erwerbs griechischer Anleihen sehr kurzlebig gewesen. Der einzige wirkliche Kauf war der Einstieg des chinesischen Logistikriesen Cosco in die Verwaltung des Athener Hafens. Diese Episode veranschaulicht die andere Dimension der aggressiveren chinesischen Strategie, deren Hauptrolle die China Investment Corporation (CIC) spielt, ein staatlicher Fonds aus Peking. Ihre Ressourcen stammen immer aus derselben Quelle, nämlich aus den Geldreserven der Landesbank.

Doch die CIC besitzt mehr Handlungsspielraum sowie diversifizierte Funktionen, sie ist das Zugpferd von Chinas Durchdringung der globalen Wirtschaft. Ihr Status verleiht ihr eine "kommerzielle Ausrichtung und rein ökonomisch-finanzielle Zielsetzungen". Die CIC ist eine Firma, die ihren Aktionären (der Regierung in Peking) Rechenschaft ablegen muss – was allerdings nicht ausschließt, dass sie als trojanisches Pferd dienen kann, etwa für strategische Ziele wie den Erwerb von fortgeschrittenen Technologien oder Know-how im Managementbereich und die Einrichtung von Stützpunkten an vielversprechenden Märkten oder in Branchen, in denen China seine Wettbewerbsfähigkeit noch verbessern muss.

Verkehrte Welt

In geografischer Hinsicht konzentrieren sich die direkten Anlagen nach wie vor in den USA, mit 42 Prozent, gefolgt von Asien mit 30 Prozent. Europa steht mit 22 Prozent erst an dritter Stelle. Europa bietet auch ein Beispiel für die Diversifizierung Chinas auf industrielle Aktivposten: Die Chinesen haben die Krise von 2008 dazu genutzt, vomAutomobilhersteller Ford die Kontrolle über Volvo zu bekommen.

Der nächste Gipfel der BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), der kommende Woche in Washington stattfindet und bei dem eine eventuelle Unterstützung der Eurozone diskutiert werden soll, ist ein Zeichen für den Wandel der Zeit. Heute ist das Kapital bei den Schwellenländern zu finden. Der brasilianische Finanzminister Guido Mantega hat angekündigt, die Krise der Eurozone stehe "auf der Tagesordnung". Verkehrte Welt. Brasilien und Russland, die gestern noch Synonyme für "Zahlungsausfall" waren, rangieren heute mit China auf der Liste der potenziellen Retter. Hoffentlich sind sie bereit, diese Rolle zu spielen, und hoffentlich sagen ihnen die Gegenleistungen zu, die wir ihnen bieten können. (pl-m)

Eurokrise

Amerikaner mischen sich ein

„Weil die Europäer unfähig sind, die seit fast zwei Jahren dauernde Krise der Eurozone zu lösen, wird der ganze Planet beim Versuch aktiv, ihnen zu helfen“, schreibt Jean Quatremer in Libération. Für den Brüssel-Korrespondenten der Pariser Tageszeitung „ist jedem klar, dass ein Zusammenbruch der Währung der zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Welt nicht nur für die Union, sondern für den ganzen Planeten verheerende Folgen haben würde.“ Und während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs immer mehr in ihrem Wust aus Meinungsverschiedenheiten verheddern, verkünden die USA, China und die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), dass sie bereit sind, zu helfen.

„Am spektakulärsten handeln die USA: Ihr Schatzmeister Timothy Geithner reist am Freitag [16. September] ins polnische Breslau“, wo sich die Finanzminister der Eurozone zu einem informellen Treffen versammeln. „Das ist das erste Mal, dass ein ausländischer Verantwortungsträger an einer europäischen Versammlung teilnimmt“, schreibt Quatremer. Für ihn „verdeutlicht dies die Zweifel der Amerikaner, die nicht daran glauben, dass sich die Europäer wirklich untereinander einigen können.“

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