Nationale Identität als Rettungsanker

Der sich anbahnende griechische Zahlungsausfall hat eine arrogante, anmaßende EU zum Wendepunkt geführt. Und die Rückkehr zu einer nationalen Dimension ist das Resultat, auf das wir uns freuen können, schreibt ein britischer Journalist.

Veröffentlicht am 16 September 2011 um 14:08

Vielleicht lag ich ja falsch. Ich dachte wirklich, die europäischen Regierungen würden jeden nur möglichen Betrag ausgeben und jede nur mögliche Sparpolitik durchdrücken, um jede nur mögliche Bank aus ihrer leichtfertigen Dummheit zu retten. Alle Banken seien zu groß, um pleite zu gehen. Keine Schuld sei zu hoch, dass man für sie bürgt. Europa sei fest in den Händen der Banker.

Und doch ist das Undenkbare jetzt vielleicht unvermeidlich. Die Priester der Eurozone sagen bezüglich des griechischen Zahlungsausfalls plötzlich "wenn", nicht mehr "falls". Die Griechen selbst scheinen eine Abwertung für eine weniger schmerzhafte Strafe zu halten als eine vom Staat auferlegte Sparpolitik – womit sie wahrscheinlich Recht haben. Ihr Austritt aus dem Euro wäre wahrhaft verheerend und würde die Umstrukturierung der Schulden und möglicherweise auch Währungen in den Peripheriestaaten der Eurozone erfordern: Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien. Das wäre zwar radikal, aber da es schon seit Maastricht 1992 vorhergesagt wurde, kann es kaum als unvorstellbar angesehen werden.

Zu diesem Thema müssen die "Pro-Europäer" aufhören, Blödsinn zu reden. Es steht kein Alarich vor den Toren Roms. Es ist kein Napoleon aus Elba zurück. Das einzige, was passieren kann, ist, dass die Demokratien Europas, die seit einem Vierteljahrhundert von den Oligarchen in Brüssel missachtet, verzerrt und korrumpiert worden sind, aus dem Schatten der Akropolis, wo die Demokratie geboren wurde, herauskriechen. Für alle Skeptiker großer Staatenbunde, vergoldeter Allianzen und exklusiver Mafias, die in Europas wolkenbedeckten Kurbädern ausgebrütet wurden, könnte dies ein beglückender Augenblick sein.

An einer Währungszone mit kompatiblen politischen Einheiten ist nichts auszusetzen. Doch eine Union muss der Spiegel einer ihr zugrundeliegenden wirtschaftlichen Realität sein, mit politischen Institutionen, die zwischen den Wahlen und den Steuern und Ausgaben, zwischen Anleihen und Rückzahlungen einen Zusammenhang herstellen können.

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Der Eurozone fehlt eine gemeinsame Sprache und Kultur

Einen guten historischen Blick auf den Euro lieferte der nobelpreisgekrönte Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman. Er stellte den Geltungsbereich des US-Dollars, mit seiner Bundesregierung, seiner gemeinsamen Sprache und politischen Kultur, in Kontrast zur Eurozone, die keines von diesen Dingen besitzt. Krugman schloss daraus, dass "dies von Anfang an die Aussichten der Einheitswährung in Frage gestellt hat". Schlimmer noch, sie habe "die Fantasie der europäischen Eliten" ergriffen. Die Einheitswährung wurde der Geleitbrief für eine bürokratische Utopie, der Weg zu einer immer glorreicheren Union.

Ich betrachte mich selbst als einen "guten" Europäer, doch in Hinsicht auf die EU wurde dieser Idealismus immer mehr angekratzt, mit jedem Vorstoß der Macht Brüssels, die sich immer größere Freiheiten mit Europas Steuerzahlern und Gesetzgebern erlaubte. Vor kurzem zeigte ein Bericht, dass die EU ganz nebenbei fast eine Milliarde Euro zu viel an griechische Bauern gezahlt hat. Sie wirft nach wie vor mehr toten Fisch ins Meer zurück als sie herausfischt. Sie baut sich immer noch einen gewaltigen Palast in Brüssel, für 280 Millionen £ (ca. 320 Mio. €). Dieses Gebäude ist pervers.

"Pro-Europa-Sein" ist mehr ein Glaubenskult als eine Politik

Weil das "Pro-Europa-Sein" eher ein Glaubenskult als eine Politik ist, trauen sich seine Anhänger nicht, angesichts der Freveltaten mit dem kleinsten Pieps zu protestieren. Nicht zum ersten Mal in Europas Geschichte stellt ein zentralisierter Superstaat dem Kontinent nach, mit einem Gefolge von kritiklosen Beschwichtigern, die vor lauter steuerfreien Gehältern den Wald nicht sehen können.

Dass Deutschland das einzige Land sein soll, das die Rettung des Euro vernünftig inszenieren kann, ist doppelt ironisch. Seine Verfassung wurde von den Nachkriegsalliierten dahingehend gestaltet, dass seine Führerschaft in Europa so gut wie unmöglich wurde. Die deutsche Regierung ist dazu bestimmt, schwach sowie von ihren Bundesländern und Wahlkreisenabhängigzu sein. Falls Angela Merkels Wähler genug davon haben, Griechenland zu retten oder Banken zu retten – und das ist allem Anschein nach der Fall –, dann wird Schluss damit sein.

Die Euro-Lobby bekniet nun Deutschland, seine alten Muskeln zu schwingen. Sie appelliert an die Deutschen, sie sollen Griechenland anweisen, seine Ausgaben zu kürzen und Arbeiter zu entlassen, seine geistig umnachteten Politiker sollen ihrer Macht enthoben und der Finanzunion unterstellt werden. Die Vereinbarung nach dem Krieg war aber dazu gedacht, die kleinen Länder Europas von eben dieser Art von Behandlung freizumachen, ihre verschiedenartigen Geschichten, Kulturen und Identitäten von der jahrhundertelangen Viktimisierung durch Großmächte zu befreien. Das Symbol einer solchen Unabhängigkeit ist das Recht, seine eigenen Steuern festzusetzen, sein Sozialversicherungssystem festzulegen und seine Währung zu bewerten. Es bestand kein Bedarf nach dem Euro. Sogar in den Boomjahren hat er, den besten Schätzungen zufolge, den Handel um 10 bis 15 Prozent gefördert, doch seine Rettung wird das mehr als austilgen.

Europa steht an einem Wendepunkt

Die Euro-Rettungspakete, die jetzt erörtert werden, erinnern auf unheimliche Weise an die unheilvollen Reparationen, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt wurden. Es mag ja alles "gerecht" sein, doch die erzwungene Verarmung der Griechen, Portugiesen und Italiener, nur um den Titelwert von deutschen und französischen Anleihen zu honorieren, ist wohl das, worin moderne Politik der revolutionären Aufstachelung am nächsten kommt. Hat denn in Brüssel niemand Geschichtskenntnisse? Hier haben wir einen echten Reformationsmoment in der Geschichte Europas: Ein zentralisiertes, autoritäres Heiliges Römisches Reich, das durch den Zehnten seiner unterstellten Völker fett und arrogant geworden ist, übernimmt sich in seiner Macht und steht einer Legitimitätskrise gegenüber.

Europa steht deutlich an einem Wendepunkt, es kehrt sich gegen den Dirigismus der europäischen Bewegung mit ihrer Zwangsjackenwährung, ihren Strömen von Wirtschaftsmigranten und ihren Gegenströmen von Subventionen, ihren endlosen Krisen und ihrer Erniedrigung demokratischer Regierungen. Es kehrt zurück zur nationalen Identität und die EU kann nichts dagegen tun.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

Aus Sicht Bukarests

Mit dem Euro verheiratet

“Die Eurozone ist eine Art katholische Ehe, aus der man nur mit den Füßen zuerst wieder herauskommt“, schimpft Adevarul. “Theoretisch ist die Ehe fürs Leben. Doch die Trennung ist auf der ganzen Welt gesetzlich geregelt. Ebenso sieht auch der Vertrag von Lissabon die Bedingungen vor, unter welchen ein Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union austreten kann. Doch es gibt keinen legalen Rahmen, in dem ein Staat die Währungsunion verlassen kann. Die Politiker, die deren Gründung ausgehandelt haben, waren sich dieses Mangels durchaus bewusst, sie sind eines vorsätzlichen Verbrechens schuldig.“

Die Bukarester Tageszeitung erklärt die Demonstrationen gegen die Sparpolitik dadurch, dass “die führenden Politiker von heute die Bevölkerung täuschen, ganz wie früher“. “Ion, Janos, Johann, Jan, Jean und Juan müssen die gleichen Steuern zahlen und keiner von ihnen ist für die wirtschaftlichen Diskrepanzen verantwortlich, die seit Jahrhunderten zusammengekommen sind.“ Diesem Editorial zufolge, “können die Vereinigten Staaten von Europa sehr wohl existieren, ohne dass ihre Bürger eine gemeinsame Währung haben oder die Sklaven einer supranationalen Bürokratie sind (...). Die Kraft Europas liegt nicht in dem Versuch, eine Supernation zu bilden!“

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