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„Deutschlands Zögern grenzt an Nervenschwäche“

Veröffentlicht am 13 September 2013 um 14:38

Mit Bewunderung und Verunsicherung gleichermaßen blickt Europas Presse auf den Wahlkampf von Angela Merkel: De Grone Amsterdamer lästert über ihre „Raute”, Respekt aus Prag preist ihr Wahlkampfteam, und der britische Guardian schimpft über ihre „Ausflüchte” in der Syrien-Frage.

Mit großem Interesse verfolgen die Kommentatoren die Wahlauftritte der Kanzlerin. Die tschechische Wochenzeitung Respekt begleitete Angela Merkel nach Trier und war dabei offensichtlich beeindruckt von ihrem Auftritt:

„Verehrte Freunde, lasst uns Europas erfolgreichste Regierungschefin willkommen heißen. Eine Frau, der wir alle vertrauen”, rief ein Mann aufgeregt ins Mikrofon. [...] Bis dato hatte man bei Merkels Fernsehauftritten den Eindruck, die Pastorentochter erfülle nur ihre Pflicht. [Doch hier] machte die wahrscheinlich bescheidenste Spitzenpolitikerin der Welt Witze mit Lokalpolitikern und strahlte vor Freude. Sie wolle auch die nächsten vier Jahre für Deutschland arbeiten, erklärt sie in ihrer Rede und erwähnt darin nicht ein einziges Mal den Namen ihres Herausforderers. [...] Der Chef ihrer Wahlkampagne hat vorher Werbung für VW gemacht, in der er die Marke schlicht als DAS Auto bezeichnete. Und genauso präsentiert er Angela Merkel jetzt als DIE Kanzlerin.

Auch *De Groene Amsterdammer aus den Niederlanden berichtet von dem Kanzlerinnen-Kult und amüsiert sich über die hiesigen Interpretationen der „Merkel Raute”:

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Die einen denken, dass es ein geheimes Zeichen der Freimaurerloge sei, der sie angeblich angehöre. Wieder andere glauben, es handele sich um ein Signal, mit dessen Hilfe sie mit Außerirdischen kommuniziere, um ihnen zu sagen: „Holt mich noch nicht. Ich bin noch nicht bereit.” Körpersprache-Experten sehen in dieser Raute ein Fenster zu ihrem Bauch, also zu ihrer mütterlichen Seite. [...] In Merkels Wahlkampf-Team reibt man sich die Hände. Aber wer zuletzt lacht, ist Angela Merkel.

Dem Guardian hingegen ist angesichts von Angela Merkels Zickzack-Kurs in der Syrien-Frage das Lachen vergangen. Anders als ihre Kollegen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien, war sie die einzige EU-Vertreterin auf dem G20-Gipfel in Sankt Petersburg, die Barack Obamas Resolution zur Bestrafung des Assad-Regimes zunächst nicht unterschrieb:

Die deutschen Ausflüchte haben internationale Wellen geschlagen. [...] Merkel behauptete, sie habe nicht gewusst, dass die anderen Europäer Obama in der G20-Erklärung unterstützen würden. Sollte das tatsächlich stimmen, hat sie ein Problem mit ihren Beratern. [...] Merkel wird zwar keine Stimmen verlieren, weil sie im Fall Syrien alles andere als übereifrig gehandelt hat. Aber bei ihren Kollegen hat sie sich damit nicht gerade beliebt gemacht.

Erbost und verunsichert reagiert die italienische Tageszeitung La Repubblica auf die generell zögerliche Haltung der „Hegemonialmacht Deutschland”:

Deutschland ist entschlossen, aber zögert bis an die Grenze der Nervenschwäche. Kurz vor den Wahlen ist es schwierig, das Land einzuordnen. [Es handelt sich um] eine Macht, die Deutschland tunlichst verbirgt und mit der die anderen Länder der Union nicht umzugehen wissen. [...] Doch die Deutschen sind entschlossener, als sie zugeben wollen. Wolfgang Schäuble bittet seine Partner, sich nicht nationalistischen Stereotypen hinzugeben, doch seine Argumentation, seine Art, Dinge kleinzureden ist nun einmal stereotypisch. Das passive Warten auf den Ausgang der deutschen Wahlen bestätigt die hegemoniale Stellung Deutschlands, die als unverrückbar, unausweichlich gilt. Ebenso wie Deutschlands Stimme allein allen anderen Ländern der Union die Sparpolitik aufzwingt.

Le Temps aus Genf erwartet ebenfalls mehr Engagement von Deutschland. Die französischsprachige Tageszeitung aus der Schweiz versucht zu erklären, warum das wirtschaftlich starke Deutschland, das doch den Ton in der Eurokrise angibt, die Rolle der ideologischen Führungsmacht in Europa partout nicht übernehmen möchte, obwohl „seine Partner Berlin mehr oder weniger offen dazu auffordern, eine europäische Vision zu entwickeln“:

Die politischen Spitzen Deutschlands sind nicht gewollt, auf internationaler Ebene eine Führungsrolle zu übernehmen. In einem Land, in dem die zukünftigen politischen Eliten keine spezifische Ausbildung genießen, sind Lehrer, Angestellte und ganz besonders Juristen innerhalb der politischen Klasse und der höheren Beamtenschicht überrepräsentiert. Geopolitik gehen sie viel gemäßigter und vorsichtiger an, als beispielsweise die „französischen Eliten”, die während [ihrer Ausbildung] von einer ganz bestimmten Vorstellung der Rolle Frankreichs in der Welt geprägt werden.”

In Partnerschaft mit Spiegel Online

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