In Europa ist es mit der Kernenergie wie mit der Zuwanderung: Jeder braucht sie, aber keiner will sie haben. In beiden Fällen sind die Folgen langfristig und eben darum darf man die Sache nicht überstürzt emotional angehen, mit Blick auf eine endende Legislaturperiode oder einem anstehenden Wahlkampf. Doch scheinen die europäischen Spitzenpolitiker der Versuchung nicht widerstehen zu können, die Ängste ihrer Mitbürger zu diesen Themen zu instrumentalisieren, wenn nicht gar zu schüren.
Nach der Havarie im japanischen Kraftwerk von Fukushima wurden überall in Europa — mit Ausnahme Frankreichs — Denkpausen eingelegt und Moratorien verhängt, als gälte es einen Wettkampf zu veranstalten, wer am meisten die Risiken denunziert oder als erstes einen Atomausstieg durchboxt. Zur Stunde heißt die Spitzenreiterin Angela Merkel.
Gerne wird dabei verschwiegen, dass ein Teil des in den einzelnen Ländern verbrauchten Stroms importiert wird, und es sich dabei größtenteils um Atomstrom handelt. So wird beispielsweise 10 Prozent des italienischen Stromverbrauchs in französischen Kernkraftwerken produziert. So betreibt man ein Outsourcing der Probleme und kann stolz verkünden, dass man selbst keine Kraftwerke brauche.
Ob bei der Kernkraft, der Zuwanderung oder der Außenpolitik, für die EU-Mitglieder gilt: Jeder für sich und hoch lebe die nationale Souveränität.
Problematisch ist jedoch, dass derzeit die Kernenergie 30 Prozent des in der EU produzierten Stroms ausmacht. Will die Union zudem ihre eigenen Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen erreichen, bleiben nicht viele Alternativen. Auch wenn es nur eine Brückenlösung ist, bis man die Produktion erneuerbarer Energien ausgebaut hat (*d*erzeit stellen sie nur 7,8 Prozent des Stromverbrauchs): der Atomausstieg kann nur schrittweise erfolgen. Dazu braucht es ein langfristiges und untereinander abgestimmtes Vorgehen.