Nachdem man sich vor einem Jahr Sorgen um das Überleben des Euro gemacht hatte, ist jetzt ein weiteres Symbol der europäischen Integration bedroht, nämlich der freie Personenverkehr. Angesichts der nahezu 30.000 Migranten aus Nordafrika ist Rom und Parisnämlich nichts Besseres eingefallen, als eine Reform des Schengener Abkommens zu beantragen, mit dem Ziel, erneut Kontrollen an den Grenzen zwischen den EU-Staaten einzuführen und zu verhindern, dass unerwünschte Migrantenhorden ihren Wohlstand bedrohen.

Seit die EU-Bürger frei von einem Land ins andere reisen können, sind die Grenzen nicht mehr der am deutlichsten sichtbare Ausdruck der Staatsmacht. Dabei liegt diese heute wieder im Aufwind, und die Mitgliedstaaten haben in verschiedenen Bereichen, in denen sie ihrer Meinung nach die Probleme besser lösen können, wieder selbst das Ruder übernommen - allen voran in der Außenpolitik, und inzwischen auch bei der Sicherheit. Es sei denn, sie berufen sich, wie Rom, auf die europäische Solidarität, wenn sie keine andere Lösung mehr sehen.

Obwohl eine gerechtere Verteilung der Aufgaben und Belastungen zwischen den 25 Mitgliedstaaten des Schengen-Raums legitim wäre (derzeit sind die Staaten an den Außengrenzen der Zone mit freiem Personenverkehr für die Grenzkontrollen verantwortlich), handelt es sich doch um ein bedeutungsschwangeres Symbol, vor allem, da dieser Rückzug zeitgleich mit einer Öffnung von eben solcher Symbolkraft erfolgt, nämlich derjenigen des deutschen und des österreichischen Arbeitsmarktes für Arbeiter aus den ehemaligen Ostblockstaaten.

Seit die EU-Bürger frei von einem Land ins andere reisen können, ist die EU für sie vom gemeinsamen Markt zu einer wahrhaftigen Gemeinschaft geworden. Dies ist ein konkreter Fortschritt, der einen wesentlich größeren Beitrag zum Entstehen des „Europas der Bürger“ geleistet hat als alle Abkommen, Vorschriften und Richtlinien. Diese Freiheit in Frage zu stellen ist gleichzusetzen mit der Bedrohung einer der Existenzgründe der Europäischen Union.

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Aus dem Französischen von Angela Eumann

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