Im politischen Feuilleton der deutschsprachigen Presse läuft die Demokratie-Debatte heiß. Den Anfang machte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Mit Blick auf die Kritik-Arie gegen das verunglückte Referendum in Griechenland klagte Frank Schirrmacher, sei dieDemokratie in Europa auf Ramsch-Status abgewertet. These, die Jürgen Habermas zu einer Antwort veranlasste, oder mehr, einer Beipflichtung.
Denn in derselben Zeitung forderte der Philosoph Rettet die Würde der Demokratie”. Der griechischen Regierungschef Giorgos Papandreou verkörpere
den Typus des Politikers, der am Spagat zwischen den Welten der Finanzexperten und der Bürger scheitert. Beide driften auseinander – die Systemimperative des verwilderten Finanzkapitalismus, den die Politiker selbst erst von der Leine der Realökonomie entbunden haben, und die Klagen über das uneingelöste Versprechen sozialer Gerechtigkeit, die ihnen aus den zerberstenden Lebenswelten ihrer demokratischen Wählerschaft entgegenschallen.
In Krisenzeiten, so Habermas, sei der Mittelweg blockiert, die Politiker müssten Farbe bekennen und die Betroffenen am Entscheidungsprozess beteiligen. “Das ist nicht nur eine Frage der Demokratie, hier steht die Würde auf dem Spiel. [...] Das griechische Desaster ist jedoch eine deutliche Warnung vor dem postdemokratischen Weg, den Merkel und Sarkozy eingeschlagen haben. Eine Konzentration der Macht bei einem intergouvernementalen Ausschuss der Regierungschefs, die ihre Vereinbarungen den nationalen Parlamenten aufs Auge drücken, ist der falsche Weg.” Vielmehr brauche Europa eine neue Verfassungsgebung mit dem Bürger an ihrer Spitze.
Seitdem gehen die Wogen hoch. Spiegel Online-Kolumnist Jan Fleischhauer etwa zischt Habermas, dem
dem letzten Schwerintellektuellen des besseren Deutschland” zu, er gehöre “entgegen seinem Ruf als kühler Großdenker, eindeutig ins Lager der apokalyptisch gesonnenen Hysteriker. In seiner Erzählung von der Euro-Krise ist die Politik längst unter die Räder der Ökonomie geraten; [Politiker] willige Erfüllungsgehilfen des ‘verwilderten Finanzkapitalismus’. Was konkrete Forderungen betrifft, geht es Habermas wie den Occupy-Wall-Street-Aktivisten, denen ja ebenfalls nicht viel mehr einfällt außer der vagen Idee, dass nun das Geld irgendwie umverteilt werden müsse. Tatsächlich zielt der ganze rhetorische Aufwand darauf ab, die Politik von ihrer Verantwortung freizusprechen, um für eine Fortsetzung der Politik der Bequemlichkeit freie Hand zu haben.