Bosnien-Herzegowina

„Der Tag, an dem Europa in Sarajevo starb”

Veröffentlicht am 6 April 2012 um 15:10

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Vor 20 Jahren, am 6. April 1992, haben „die paramilitärischen Truppen und die Jugoslawische Volksarmee (JNA) angefangen, das eingekesselte Sarajevo unter Beschuss zu nehmen. Am selben Tag haben die Europäische Union und die USA die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas anerkannt”, erinnert Delo. Die slowenische Tagezeitung unterstreicht, dass „die Vorbereitungen für den Krieg schon lange liefen”, doch niemand hatte diejenigen ernst genommen, die einen bewaffneten Konflikt ankündigten.

Der Beginn der Belagerung der bosnischen Hauptstadt bezeichnet „den Tag, an dem Europa in Sarajevo starb”, beteuert Delo und druckt aus diesem Anlass einen Gastkommentar des bosnischen Schriftstellers Dzevad Karahasan. Ihm zufolge

befindet sich Bosnien-Herzegowina immer noch in einer schweren Krise, denn das Dayton-Abkommen [welches den Krieg im Dezember 1995 beendete] hat eine Staatsstruktur erzwungen, die weder aus juristischer noch aus logischer Sicht tragbar ist. Wenn die internationalen und lokalen Bürokraten versuchen, diese zu ändern, hindert man sie sofort daran mit der Erklärung, dass dadurch das Gleichgewicht und der Frieden gestört werden könnten. In Bosnien kennen nur die Friedhöfe Frieden. Und vielleicht nicht einmal die.

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Die Tageszeitung aus Sarajevo Dnevni Avaz widmet ihrerseits mehrere Seiten den Feierlichkeiten zum Gedenken der „zwei Jahrzehnte seit dem Angriff auf Bosnien-Herzegowina”, und insbesondere der „roten Linie“. Diese wird am heutigen 6. April aus 11 541 roten Stühlen zum Gedenken an die Einwohner der Stadt, die während des Krieges starben, auf der Tito-Straße gebildet. Die Zeitung erinnert im Übrigen auch daran, dass der Tag gleichzeitig Gelegenheit ist, die „Gründung von Sarajevo vor 550 Jahren und die Befreiung vom Faschismus vor 67 Jahren“ zu feiern.

Was Bosnien dabei helfen könnte, das Kapitel abzuschließen, ist die Aussicht auf den Eintritt in die Europäische Union. Doch der Weg dahin ist alles andere als leicht, wie Die Presse berichtet. In ihrem Leitartikel „Die Europäische Union und die Bosnien-Schizophrenie“ befindet die Wiener Tageszeitung, dass sich die EU wieder mehr auf ihre Ursprünge besinnen und sich als Friedensprojekt platzieren sollte. Derzeit zeichne sie sich vor allem durch mangelndes Interesse für das Geschehen in Bosnien aus:

Die EU hat den bosnischen Politikern zu verstehen gegeben, dass ihr Land mit seinen komplizierten Strukturen, die von der Völkergemeinschaft in Dayton ersonnen wurden, der EU nicht beitreten kann. Leider gibt es unter den bosnischen Politikern keine Einigkeit über neue Strukturen.

In Madrid schreibt El Pais schließlich, dass die Nachkriegszeit erst an dem Tag enden werde, wenn Bosnien-Herzegowina der EU beitrete:

Bosnien-Herzegowina hat keinen Nationalfeiertag, die Politiker können sich nicht auf einen Tag einigen. [...] Das Land ist immer noch in zwei Teile gespalten. [...] Eine doppelte Administration und das vollständige Fehlen eines gemeinsamen Nationalgefühls definieren heute ein Land, dass seine physischen Wunden geheilt, aber noch immer nicht zu einer Aussöhnung gefunden hat.

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