Ivo Sanader, Fall eines fast perfekten Staatsmanns

Veröffentlicht am 21 November 2012 um 15:04

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„Sie sind ein korrupter Regierungschef und ein Kriegsprofiteur.“ Mit diesen Worten verurteilte der Zagreber Richter Turudic Ex-Regierungschef Ivo Sanader wegen Korruption zu zehn Jahren Haft. — Eine Sensation, die die Tageszeitung Jutarnji list auf ihrer Titelseite zitiert. Im Innenteil nennt die Zeitung den Schuldspruch des früheren Regierungschefs (2003-2009)...

einen historischen Präzedenzfall. Rechtsstaat und Volk sind endlich übereingekommen. Das Urteil bestätigt, was alle wussten: Kroatiens Regierungschef und Machtapparat war bestechlich und bereit, die vitalen Interessen des Staates für ein paar Millionen Euro zu verhökern. [...] Dass Sanader hinter die Gitter kommt, könnte folglich auch das Ende eines verbrecherischen Regierungssystems einläuten. [...] Für Kroatiens Ruf in der Welt kann das nur gut sein, zumal der Kampf gegen Korruption eine der Hauptbedingungen für einen EU-Beitritt Kroatiens ist.

Unterdessen hinterlässt der gestürzte Regierungschef ein abstruses Erbe:

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Er hat die HDZ [Kroatische Demokratische Union, die das Land nach der Unabhängigkeit 1991 regierte] er von ihren ultrakonservativen Mitgliedern befreit, baute wieder Brücken zu der serbischen Minderheit auf und setzte sich gekonnt als kultivierter Staatsmann in Szene, der wusste, was er will (und der fließend Englisch, Deutsch, Italienisch und Französisch spricht). Aufgrund seiner Bereitschaft, eng mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten, half er nicht nur dabei, den flüchtigen General Gotovina ausfindig zu machen, sondern ermöglichte auch wichtige Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen [insbesondere weil dessen Verhaftung eine der Bedingungen für die EU-Beitrittsverhandlungen war. Am 16. November wurde Gotovina freigesprochen].

Vom ungarischen Mineralölkonzern MOL soll Sanader zehn Millionen Euro, von der österreichischen Bank Hypo Group Alpe Adria 500.000 Euro erhalten haben. Wie Die Presse in ihrem Artikel „Der tiefe Fall des Ivo Sanader“ berichtet, ist es das erste Mal in Europas Nachkriegsgeschichte, dass ein Gericht einen langjährigen Ministerpräsidenten wegen Korruption zu einer Haftstrafe verurteilt. Die Tageszeitung aus Wien weist auf Sanaders Verbindungen zur skandalumwogenen Bank Hypo Group Alpe Adria hin, die in den neunziger Jahren in den Balkanstaaten sehr aktiv war und im Zuge der Finanzkrise 2008 verstaatlicht wurde. Laut Presse schlägt die Affäre nicht nur in Kroatien Wellen:

Sanader hatte eine Schlüsselrolle inne. Doch er stand nicht allein. Viele seiner Parteifreunde in Städten und Gemeinden zogen mit, um einige der Phantominvestitionen der Bank zu vertuschen. Provisionen flossen auch hier. [...] Sieht man sich die Summen an, die damals verschwunden sind, sind die angeblichen Provisionen von Sanader „peanuts“. [...] Für den kroatischen Journalisten Predrag Lucić müsste es von „München bis Thessaloniki“ viele Schuldsprüche geben. „Jetzt sind doch alle froh, in Sanader einen Sündenbock gefunden zu haben.

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