Wirtschaftliche Integration Europas

Das langsame Auseinanderdriften eines Kontinents

Veröffentlicht am 31 März 2015 um 06:25

Eine gemeinsame Währung ohne politische oder steuerliche Einheit hat Europa in Gefahr gebracht, auseinanderzubrechen, schreibt Timothy Garton Ash in der britischen Tageszeitung The Guardian. Die aktuelle Krise innerhalb der Eurozone hat die Gräben zwischen dem noch wohlhabenden Norden und dem von Schulden belasteten Süden vertieft. Dadurch gerieten auch die demokratischen Interessen der Nationalstaaten auf Kollisionskurs mit der EU Führung.

Garton Ash glaubt nicht an ein zwangsläufiges Auseinanderbrechen. Allerdings scheint es unvermeidbar. In Anspielung auf den britischen Ökonom Adam Smith schreibt er —

Betrachtet man die außergewöhnlichen Anstrengungen, die in den 70 Jahren seit 1945 unternommen wurden und die Erinnerungen und Hoffnungen, die immer noch mit dem Europäischen Projekt verbunden werden, dann gibt es auf unserem Kontinent immer noch viel Verderben.

Das Leid wird am deutlichsten im Süden zu spüren sein, allerdings wird die strukturelle Unausgewogenheit schließlich das Kraftzentrum Nordeuropas treffen. Der Grund dafür, so behauptet Garton Ash, ist in dem Fehlen einer politischen Union begründet, die die strukturellen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten anerkennt. Der US-Föderalismus trägt dem Umstand Rechnung, dass die Wirtschaft von Alabama niemals die Leistungsfähigkeit von Kalifornien haben wird. Im Gegensatz dazu versucht die EU den ganzen Kontinent zu einem „Exportweltmeister“ deutscher Machart umzubauen. Eine derartige Denkweise versäumt es, den Bedarf eines Binnenmarktes wahrzunehmen, in den exportiert werden kann. „Wenn sich jetzt jeder wie Deutschland verhalten soll“ schreibt Garton Ash, „dann sollte sich Deutschland ein bisschen weniger wie Deutschland verhalten. Aber Deutschland ist dazu nicht bereit.“

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Viel drängender sind die Einschläge, die Südeuropa in Form von aufeinander folgenden Wellen von Einschnitten und Liberalisierungen trafen, die aber nicht zu der gewünschten wirtschaftlichen Umwandlung führten —

Griechen, Italiener und Franzosen sind keine Deutschen. Ihre Wirtschaft braucht sicherlich Strukturreformen, wie sie beispielsweise die Exporte von Spanien angekurbelt haben, allerdings verhalten sich ihre Gesellschaften und Unternehmen schlichtweg nicht genauso.

Das Ergebnis wird ein Europa sein, in dem nationale demokratische Interessen zunehmend unvereinbarer werden mit der Kernaufgabe der EU. Die wirtschaftliche Integration führt zu dem Leiden von vielen Mitgliedsstaaten und verstärkt die deutsche Vormachtstellung. Derzeit hat wohl kaum jemand Lust an einem engeren politischen Zusammenschluss, obwohl dies gemäß Garton Ash der einzige Weg aus der aktuellen misslichen Lage ist, in der sich die EU befindet —

Leider verlangen die Strukturprobleme der Eurozone eine über die Grenzen hinausgehende demokratische Solidarität ihrer Mitbürger, die jedoch unter den verschiedenen Nationalitäten der Eurozone nicht existiert und die es auch in naher Zukunft nicht geben wird. […] Deshalb geraten die Demokratien der Nationalstaaten unter einen zunehmenden Druck hinsichtlich der europäischen Integration.

Was wäre also zu tun? Garton Ash ist nicht allzu optimistisch bezüglich der Wahrscheinlichkeit eines Überlebens der Union. Allerdings ist es noch nicht zu spät, um Europas Kurs zu ändern —

Sind die europäischen 89er Jahrgänge – also jene, die um oder nach 1989 geboren wurden – in der Lage, um mit politischer Vorstellungskraft zu verändern, was unsere aktuelle Politik nicht fertigbringt?

Deutsche Übersetzung von Karen Gay-Breitenbach, DVÜD

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