Schicksalstage für den Euro

Die Rating-Note aller europäischen Länder ist gefährdet, hat Moody’s am 28. November verkündet. Gleichzeitig steht Italien seitens der Märkte unter hohem Druck. Die Vorschläge zur Krisenbewältigung häufen sich. Aber ist es vielleicht schon zu spät?, fragt sich die europäische Presse.

Veröffentlicht am 28 November 2011 um 15:53

“Wird der Euro Weihnachten noch erleben?”: diese Frage des Journal du Dimanche lässt der EU keine Ruhe. Die Pariser Wochenzeitung stimmt der katastrophalen Prognose von Jacques Attali zu. Der Journalist erwartet das Aus für den Euro noch vor Jahresende, wenn die Regierungen “nicht über den Tellerrand ihrer eigenen Legislaturperioden schauen”. Es bleibt “nur noch ein Monat, um den Euro zu retten”, schreibt die Zeitung:

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“Nach Griechenland, Irland und Portugal hat das tödliche Virus auch Italien befallen. Die überschuldete Halbinsel musste diese Woche Kredite zu horrenden Zinssätzen aufnehmen. Am Freitag verlangten die Gläubiger 7,8 Prozent für einen Zwei-Jahres-Kredit, das heißt 3,2 Prozentpunkte mehr als vor zwei Monaten. […] Sollte die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone zahlungsunfähig werden, bedeutet dies das Ende der Währungsunion. […] Die Anspannung ist auf ihrem Höhepunkt angelangt. Kurz vor dem Wochenende hatte die Rating-Agentur Standard & Poor’s Belgiens Note gesenkt. Nächsten Donnerstag muss Paris ein Darlehen von 3 bis 4,5 Milliarden Euro aufnehmen. Ein echter Test, denn die Gläubiger kehren nun auch dem besser notierten Deutschland den Rücken. Diese Woche konnte Berlin nur 3,6 statt der erhofften 6 Milliarden Euro aus den Märkten gewinnen. Eine Überraschung”. – Le Journal du Dimanche

“Die Euro- und Schuldenkrise ist an einem Scheidepunkt angekommen, der die europäische Wirtschaft und sogar die Grundstrukturen des Kontinents nachhaltig beeinflusst”, schätzt le Corriere della Sera :

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“In einigen Wochen wird nichts mehr sein wie vorher. Aber niemand kann mit Sicherheit sagen, dass alles so verläuft, wie geplant[…].Am Dienstag wird die Eurogruppe über die französischen und (vor allem) deutschen Vorschläge über eine Fiskalunion, wie es Kanzlerin Angela Merkel nennt, beratschlagen,. […] Diese Vorschläge werden mit hoher Wahrscheinlichkeit beim EU-Gipfel am 9. Dezember gebilligt. Kurz zuvor wird die EZB einer unbegrenzten Liquidität für zwei oder (sehr wahrscheinlich eher) drei Jahre zustimmen, um den Banken unter die Arme zu greifen. Und bis dahin wird Regierungschef Mario Monti im Ministerrat die Maßnahmen zur Stabilisierung Italiens durchgesetzt haben. Alles wird bereit sein, damit die EZB handeln kann. Sie könnte die Zinssatzgrenze für Staatsanleihen [Differenz zwischen den niedrigsten und höchsten Zinssätzen auf Staatsanleihen] festlegen. Über diese Grenze hinaus wird die Bank dann uneingeschränkt auf den Märkten eingreifen. Dieses Limit wird allerdings relativ hoch angesetzt, um die Staaten zu Zinssenkungen anzuregen. So sieht der Weg der Krisenbewältigung aus. Europa bereitet sich darauf vor, wohl wissend, dass man sich in der Vergangenheit schon oft verlaufen hat”. – Corriere della Sera

La Stampa stellt fest, dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy “mit Mario Monti einen neuen Verbündeten im Kampf um die Vertragsänderungen gefunden haben” und spricht auf der Titelseite vom “Dreierpakt für Europa”. Der Wirtschaftsexperte Franco Bruni schreibt in der Turiner Tageszeitung, dass:

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“die Schwierigkeiten der italienischen Schulden zu einem Hauptproblem der Weltwirtschaft geworden sind. Vielleicht ist das etwas übertrieben. Die Überdramatisierung ist für bestimmte Phasen einer Finanzkrise typisch, besonders wenn die Regulierungsmaßnahmen und Reformen auf politischen und sozialen Widerstand stoßen. Das betrifft auch die Diskussionen über das Ende des Euro, ohne zu wissen, wovon man spricht und ohne zu verstehen, dass die Probleme damit nicht gelöst werden, sondern allen eher noch mehr geschadet wird”. – La Stampa

Der Countdown hat auch für La Tribune begonnen:

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“Tick tack, tick tack... Die Stoppuhr, die die Überlebenschancen des Euro misst, läuft unerbittlich weiter. […] Offiziell sträubt sich Deutschland weiterhin gegen das Eingreifen der EZB. Angesichts der sich zuspitzenden Krise ähnelt diese sture Weigerung dem Verhalten eines Feuerwehrmannes, der das Haus abbrennen lässt, um den Kindern beizubringen, dass man nicht mit Streichhölzern spielen darf.” – La Tribune

Die Madrider Zeitung El Economista ist überzeugt, dass die Eurozone in zwei Teile zerbrechen könnte – eine Zone für die tugendhaften Länder und eine für die schwächeren Staaten. Angela “Merkel wird außerdem neun Länder auswählen, um den ‘Super-Euro’ zu schaffen”, glaubt die Tageszeitung. Denn die Kanzlerin:

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“möchte ein Abkommen über einen neuen Stabilitätspakt, ähnlich dem Schengen-Abkommen. Nach den Regeln der EU müssen demnach mindestens neun Länder Abkommen für eine stärkere Zusammenarbeit unterzeichnen. Merkel ist mit dieser Formel aus zwei ersichtlichen Gründen zufrieden: die Zeit und Einfachheit der Umsetzung (…) – das Abkommen könnte schon im Januar oder Februar 2012 in Kraft treten. Das wäre im Vergleich zu einer Vertragsänderung, die mindestens ein Jahr dauert, unvergleichlich schnell. (...) Italien und Spanien wären mit von der Partie. Ihre Einbeziehung wäre für die beiden Länder existenziell, denn die unterzeichnenden Staaten hätten die ständige Unterstützung der EZB sicher. Eine Teilung zwischen Norden und Süden könnte zudem auch verhindert werden.” – El Economista

In Berlin spricht Die Welt von “Elite-Bonds”: “Die sechs Euro-Länder, die über die höchste Bonität (Triple A) an den Finanzmärkten verfügen , sollen künftig gemeinsam Anleihen begeben, deren Zinssatz im günstigsten Fall zwischen 2,0 et 2,5 Prozent liegen soll." Der Leitartikler der Tageszeitung glaubt, dass

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“die Märkte ein glaubhaftes Signal wollen. […] Die neuen Beschlüsse – wie immer sie aussehen – werden diese Botschaft senden. Jetzt regiert Merkels harte Hand in Europa.” – Die Welt

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