Im Wahllokal von Donja Lomnica, 22. Januar. "Aus Kroatien wird kein Schlaraffenland werden."

Schwaches Ja zur EU

Die Kroaten wollen in die Europäischen Union, und in Brüssel atmet man erleichtert auf. Wäre da nicht die rekordverdächtig niedrige Beteiligung, sorgt sich die kroatische Presse.

Veröffentlicht am 23 Januar 2012 um 17:40
Im Wahllokal von Donja Lomnica, 22. Januar. "Aus Kroatien wird kein Schlaraffenland werden."

In Novi List freutsich Neven Santic darüber, dass das “historische Ja” seiner Mitbürger zum EU-Beitritt schwerer wog als “die Bemühungen der EU-Beitritts-Gegner und der Alptraum in den Köpfen zahlreicher Stimmberechtigter”. Für Santic,

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…wird Kroatien das 28. Mitglied der Europäischen Union. Die Schwierigkeiten, mit denen Kroatien zwei Jahrzehnte lang zu kämpfen hatte, und die Probleme der alles andere als perfekt funktionierenden EU zeigen ihre Folgen: Aus dem demokratischen Traum eines optimistischen Volks zu Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre ist Zweifel geworden. Seit gestern ist dieser Traum aber Wirklichkeit geworden. Eine Wirklichkeit, mit der man nun leben muss. Natürlich muss man realistisch sein. Das Referendum und der 1. Juli 2013 [an dem der EU-Beitritt wirksam wird] werden aus Kroatien kein Schlaraffenland machen. Die EU ist nicht unser Allheilmittel. Sie verkörpert nicht nur Gutes und ist keineswegs eine absolut idyllische Staatengemeinschaft. Sie hat ihre eigenen Probleme und oft unangenehme und schmerzhafte Methoden, um mit diesen fertig zu werden. In einer solchen “Interessengemeinschaft” muss Kroatien erst einmal seinen Platz finden. An Konflikten wird es nicht mangeln. Und zweifellos werden die Euroskeptiker daraus ihren Nutzen ziehen. Im Augenblick aber steht fest: Für Kroatien ist der EU-Beitritt ein großer Schritt. Verlieren wird es nichts. Vor allem nicht seine Souveränität. Es kann nur davon profitieren.

Dagegen interessiertsich der Kolumnist Senol Selimovic der Tageszeitung Sloboda Dalmacija aus Split vor allem für folgenden Rekord: Die “historisch niedrigste Beteiligung [der Kroaten] an einem Referendum über den EU-Beitritt”:

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In ganz Europa hatte die Beteiligung an dieser Art von Abstimmung – 43,6 Prozent – noch nie einen solchen Tiefstand erreicht. Selbst in Ungarn äußerten sich beim Referendum 2003 mehr Menschen (45,62 Prozent) zur europäischen Zukunft ihres Landes. Hätte die kroatische Regierung zwischenzeitlich nicht die Verfassungsgrundlage dem Referendum angepasst, wäre dieses aufgrund unzureichender Beteiligung gescheitert. Die niedrige Beteiligung hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Sie lässt vermuten, dass die Argumente der Politik für die EU nicht wirklich überzeugt haben. Offensichtlich ist es ihr nicht gelungen, die Bürger dazu zu bringen, sich an einer historisch so bedeutsamen Abstimmung zu beteiligen. Die kroatische Regierung hat sogar einen Teil der pro-europäischen und demokratischen Öffentlichkeit verraten. Diese hatte beanstandet, dass die Organisationen und Gruppierungen, die gegen den EU-Beitritt argumentierten, weder finanziell noch in den Medien gleich behandelt wurden. Statt einer Informationskampagne erlebten wir eine Propagandakampagne. Anders als das historische Referendum von 1991 (über die Unabhängigkeit), an dem sich 83,5 Prozent der Bevölkerung beteiligten, wird die Volksabstimmung vom 22. Januar als Referendum mit der niedrigsten Beteiligung in die europäische Geschichte eingehen.

Für Augustin Palokaj der Tageszeitung Jutarnji List scheintdagegen Brüssels Erleichterung über das kroatische Ja am wichtigsten zu sein:

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Mit ihrem Ja haben die kroatischen Bürger bewiesen, dass der Beitritt nicht nur das Projekt der politischen Eliten ist, sondern auch von ihnen selbst getragen wird. Allerdings hinterlässt eine so niedrige Beteiligung an einer so wichtigen Abstimmung ihre Spuren. In der Tat ist die Zahl derjenigen, die abgestimmt haben, ebenso wie die Zahl derjenigen, die Ja gestimmt haben, eine klare Ansage: Zwar wollen Kroatiens Bürger den EU-Beitritt, aber sie erwarten sich nicht allzu viel davon. Die EU ist alles andere als eine vorbildliche Institution. Man kann ihr sogar vieles vorwerfen. Aber es ist wohl besser, zu dieser Union zu gehören, um innerhalb dieser für seine Interessen zu kämpfen. Alles in allem machen sich die Kroaten in Sachen EU nichts vor. Für Euphorie gibt es keinen Grund. Und das ist gut so. […] Für die EU ist das kroatische Ja angesichts der Schwierigkeiten, in denen sie momentan steckt, geradezu beruhigend. Ein Nein hätte nämlich eine offenkundige Niederlage bedeutet.

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