“Sonntag Nacht ist Wladimir Putin in seine Breschnew-Phase eingetreten”, schreibt Luke Harding im Guardian:
Er ist nicht mehr nur wiedergewählter Chef, sondern Präsident auf Lebenszeit. Nachdem er mit einem Mandat als Ministerpräsident sorgfältig die Regeln umgangen hat (die russischen Präsidenten können nur zwei aufeinanderfolgende Mandate ausführen), kann Putin nun unbegrenzt weitermachen. Breschnew regierte 18, Stalin 31 Jahre. Wer würde es trotz Revolutionsgerüchten vor den Toren des Kreml mit Wladimir-Leonid aufnehmen? Gegenüber einer möglichen Orangen-Revolution hat Putin zwei Möglichkeiten: Er kann die Demonstranten mit vagen Reformversprechungen besänftigen oder die finsteren Methoden des KGB einsetzen – schwarze Listen der wichtigsten Oppositionellen, permanente Verhaftungen und Anklagen seiner Gegner als Staatsfeinde und von Washington unterstützte Landesverräter. Putin scheint eher zur zweiten, brutaleren Lösung zu neigen.
Und wenn der Mann im Kreml eine Revolution verhindern will, schreibt die Westdeutsche Zeitung, muss er
lernen, Kompromisse zu schließen und die Metamorphose vom autoritären Herrscher zum Pragmatiker zu durchleben. Ex-Präsident Michail Gorbatschow hat Putins Dilemma treffend auf den Punkt gebracht: “Wenn er sich nicht selbst überwindet und die Dinge ändert, wird alles auf den Straßen der Städte enden.” Der internationalen Staatengemeinschaft zumindest dürfte kaum daran gelegen sein, dass auf den Arabischen Frühling ein Russischer Sommer folgt. Gerade Deutschland ist auf das Land als stabilen Rohstoff- und Handelspartner angewiesen. Bislang muss sich hierzulande niemand Sorgen machen um die Erdöl- und Gaslieferungen. Doch wir sollten uns nichts vormachen: Die russische Zarendämmerung hat begonnen.
Auch der Philosoph und Ideenhistoriker Marcin Kró glaubt in der Wprost, dass
... Europa mit seinen mittelmäßigen Politikern – aber auch mit seinen früheren Regierungschefs, die heute wie politische Riesen erscheinen — immer hoffte, dass Stabilität und Frieden in Russland die Oberhand gewinnen. Deshalb ist Putin die perfekte Lösung für Europa, die auf keinerlei Widerstand stößt. Im Grunde würde Europa eine demokratische Entwicklung in Russland bevorzugen. Allerdings müsste dies friedlich, ohne Blutvergießen und negative Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen geschehen. Europa wäre froh, wenn die Machtvergabe in Russland über reale demokratische Kräfte erfolgen würde, rührt aber auch keinen Finger dafür.
Diese Meinung teilt auch der ehemalige Russland-Korrespondent des Corriere della Sera Arrigo Levi. Er fragt sich, “was Europa mit Russland machen soll”. Zwanzig Jahre nach dem Untergang der UDSSR weiß man immer noch nicht, ob die Russen “gelernt haben, mit Freiheit vernünftig umzugehen”, wie es der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow ausdrückte.
Die Hoffnung, dass sich Russland von einem Tag auf den anderen zu einer Vielparteiendemokratie entwickelt, war wohl ein bisschen zu optimistisch […]. Der Reformwunsch, der in der Hauptstadt stark zum Ausdruck kam, wurde vom Rest des riesigen Landes scheinbar nicht geteilt. […] Aber wie die Dinge nun einmal liegen, hat Europa ein Interesse daran, stabile Beziehungen für ein friedliches Miteinander und politische sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten, egal unter welchen Bedingungen.
“Die Umstände, unter denen Putin seine Rückkehr in den Kreml durchsetzen musste, […] haben bei ihm sicher einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen”, schreibt Le Monde:
Selbst in Moskau hatte er keine Mehrheit. Wladimir Putin ist gegen allen Anschein nicht mehr allmächtig. Für diesen Sieg musste er kämpfen wie noch nie. Russland hat sich verändert. Die noch nie dagewesene Protestbewegung in der Hauptstadt und in mehreren großen Städten des Landes, die sich seit den vermutlich gefälschten Parlamentswahlen vom 4. Dezember entwickelte, zeugt von einer neuen Bürgerkategorie, mit der der Kremlchef rechnen muss. Diese neue städtische und informierte Mittelschicht hat sich paradoxerweise unter Putin entwickelt. […] Wenn er […] Russland modernisieren, die Wirtschaft breiter fächern und dem Land auf globaler Ebene einen großen Stellenwert geben will, […] muss er mit der rebellischen Mittelschicht zusammenarbeiten [und] zeigen, dass auch er sich verändern kann, so wie Russland.