Wahl von Hollande verändert Europa

Der Großteil der europäischen Presse begrüßt den Sieg des sozialistischen Kandidaten bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Aber sie unterstreicht auch, dass ganz oben auf der Liste der Herausforderungen, die auf ihn warten, die Beziehungen zu Deutschland und seine Haltung gegenüber dem Fiskalpakt, den sein Vorgänger Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel geschlossen hatten, stehen.

Veröffentlicht am 7 Mai 2012 um 15:07

„Ein Neuanfang. Präsident Hollande verspricht eine Kursänderung in Europa”: für die Londoner Tageszeitung The Guardian hat der sozialistische Kandidat „einen strahlenden Sieg errungen, nicht nur für ihn […] und für Frankreich, sondern auch für den linken Flügel Europas”.

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Nicolas Sarkozy ist der elfte europäische Staatschef, der seit dem Ausbruch der Finanzkrise abgewählt wurde. Diese Tatsache ist mehr als nur ein Warnschuss für die Befürworter des ehemaligen Präsidenten wie Frau Merkel oder David Cameron. Der neue Kurs in Frankreich versetzt dem Fiskalpakt, der europäischen Antwort auf die Krise, einen tödlichen Stoß.

„Frau Merkel, ich komme”, titelt die Frankfurter Rundschau. Gleich nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hat der neu gewählte Präsident angekündigt, seine erste Auslandsreise zur deutschen Bundeskanzlerin zu machen. Angela Merkel wird sich trotz der ideologischen Differenzen an ihren neuen Partner gewöhnen müssen:

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Merkel wäre nicht Merkel, könnte sie nicht rasch umsteuern. Ideologische Probleme mit Sozialdemokraten [sie hat mit ihnen von 2005 bis 2009 in einer großen Koalition regiert], auch wenn sie Sozialisten heißen, kennt sie nicht. Hollande wird keine Revolution ausrufen. Er wird, wie Merkel in den zwei Jahren der Griechenland-Krise, lernen und sich anpassen müssen.

„Hollande hat gesiegt, die europäische Herausforderung beginnt”, titelt die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera. Der neue französische Präsident sei „ein normaler Staatschef in außergewöhnlichen Zeiten”.

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Der französische Monat Mai bringt viel Hoffnung in diesen Krisenzeiten, geprägt von Anti-Politik und bürgerlicher Dekadenz: für Frankreich und Europa, das auf Frankreich schaut. […Es ist] auch ein nein zum Europa der Opfer ohne gerechte Aufteilung und der Sparpolitik ohne Wachstum. […] Hollandes Frankreich träumt nicht mehr vom Sozialismus in einem Land, sondern von etwas mehr Sozialdemokratie in Europa.

Für El Mundo „führt der Sieg Hollandes zu einer Unsicherheit in Europa”. Die konservative Tageszeitung fragt sich beunruhigt, wie die „neue Ära für Frankreich und den Rest des Kontinents” aussehen werde.

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„Noch nie hatte eine französische Präsidentschaftswahl derartige Auswirkungen in Europa. […] Der Sieg des sozialistischen Kandidaten zerschlägt die Mitte-Rechts-Hegemonie des letzten Jahrzehnts und lässt Zweifel an der Zusammenarbeit mit Kanzlerin Angela Merkel aufkommen, mit der [der ehemalige Präsident Nicolas] Sarkozy die Fiskalunion und Sparpolitik durchsetzen wollte […]”.

„Ein Neuanfang für Europa", glaubt De Morgen. Jedoch „befindet sich der Sozialist Hollande in Fragen der Sparpolitik sofort auf Kollisionskurs mit Deutschland”. Die Tageszeitung schreibt in einem Leitartikel:

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Ob Hollande den europäischen Kurswechsel [hin zu wachstumsfördernden Maßnahmen] wirklich schafft, ist völlig ungewiss. Wir stellen uns schon seine erste Reise nach Berlin vor, wo er einen historischen Kompromiss mit der unnachgiebigen Angela Merkel finden muss. Die Verhandlungen werden nach den gestrigen Parlamentswahlen in Griechenland, die die politische Landschaft völlig zersplittert haben, in turbulenten Zeiten stattfinden. [...] Europa ist seit gestern etwas roter. Aber gleichzeitig sind die Gewitterwolken über dem Kontinent noch bedrohlicher geworden.

Der Stockholmer Zeitung Dagens Nyheter zufolge habe der neue Präsident in der Einwanderungs- und Minderheitenfrage einen toleranteren und offeneren Weg als Nicolas Sarkozy eingeschlagen. Dagegen „wirft er beunruhigende Fragen in der Wirtschaftspolitik auf”:

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Sollte Hollande den Fiskalpakt brechen, würde das ernsthafte Probleme nach sich ziehen. Europa braucht Wachstum. Aber ohne eine klare Beschränkung der europäischen Staatsschulden wird der Euro nur schwer überleben können. Die Einheitswährung und die Fähigkeit, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, wären gefährdet. Deshalb ist schwer vorstellbar, dass Hollande tatsächlich den Pakt neu verhandeln will. Wahrscheinlich wird er sich mit einem Zusatzprotokoll über das Wachstum zufrieden geben.

In der Prager Tageszeitung Hospodářské noviny glaubt Martin Ehl, dass „an diesem Wahlwochenende ein neues Europa geboren wurde”. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich und die Parlamentswahlen in Griechenland zeigen, dass der Alte Kontinent „eine neue französische Revolution” erlebt. Der Konsens über die europäische Integration, die sich in ihrer größten Krise seit den fünfziger Jahren befindet, ist stark angekratzt:

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Die Europäer erwarten von ihren Politikern mehr als Budgetkürzungen. […] Nach dem Fiskalpakt braucht Europa eine innovative Wirtschaft

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