Erleichterung und Besorgnis in Europa

Wann wird der Rettungsplan für den spanischen Bankensektor fertig sein? Seit Wochen stellt sich die europäische Presse diese eine Frage. Daran, dass er kommen wird, zweifelte wohl niemand. Am 9. Juni bat die Regierung die EU nun endlich darum, die tief in Immobilienkredit-Schulden steckenden spanischen Banken zu rekapitalisieren.

Veröffentlicht am 11 Juni 2012 um 13:27

Mit viel Ironie kommentiert die niederländische De Volkskrant die Zahl der Länder, die EU-Hilfen in Anspruch nehmen müssen und titelt: „Das Rettungsboot wird immer voller“. Allerdings kann man die 100 Milliarden Euro, mit denen den spanischen Banken geholfen werden soll, nicht mit den vorigen Rettungspaketen vergleichen, meint die Zeitung. Heute geht es um wesentlich mehr:

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Die Hilfen für Griechenland, Irland und Portugal konnte man uns noch als Mittel für zweitrangige und bescheidene Probleme verkaufen. Madrids Hilfegesuch ist etwas ganz anderes. Erstmals steht ein großes Land der Eurozone vor dem Zusammenbruch. [...] Auf die Krise reagiert Europa nicht unangemessen und auch nicht zu spät, sondern großzügig und rechtzeitig. [...] Zudem tragen die Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre erste Früchte: Die gemeinsame Wirtschaftspolitik ist auf dem richtigen Weg. [...] Und dennoch ist unsicher, ob die Hilfen für die Banken Spanien auch wirklich retten werden. In der Eurozone ticken gegenwärtig zwei Zeitbomben: Die erste ist Griechenland. [...] Die zweite ist Italien. [...] In und um das Rettungsboot werden es immer mehr. Und der Sturm ist noch lange nicht vorbei.

In Frankreich begrüßt Les Echos die „auf EU-Ebene eingeführten Instrumente, mit denen ein solcher Notfall behandelt werden soll“. Dank des „Maßnahmenpakets, das noch vor ein paar Monaten unmöglich war“, kann „ein viel kostspieliger Zusammenbruch des ganzen kontinentalen Finanzsystems vermieden werden“. Allerdings wirft das Wirtschaftsblatt auch das Problem der „Zumutbarkeit“ der spanischen Hilfen und der vorherigen Rettungspakete „für die Öffentlichkeit“ auf und fragt sich: „Wie viele EU-Bürger wissen wirklich, dass Europa irgendwie 500 Milliarden Euro aufgetrieben hat, um den in Schwierigkeiten steckenden Staaten zu helfen?“ Es fehlt ein konkretes Projekt für die Eurozone. Und darüber werden auch die Rettungspakete über kurz oder lang nicht mehr hinwegtäuschen können, meint Barré.

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Seit drei Jahren versuchen wir, Notfälle in den Griff zu bekommen, weil das Konzept der Eurozone selbst auf wackeligen Beinen steht. Diese aufeinanderfolgenden und kostspieligen Pakete sind nur dann akzeptabel, wenn die Europäer auch einen Plan haben, wie sie eine auf Dauer tragfähige Zone schaffen können. Ansonsten werden wir die Zentrifugalkräfte nicht mehr zurückhalten können und wir alle verlieren. Nicht nur viel Geld, sondern auch unsere Fähigkeit, die Angelegenheiten der Welt mitzuentscheiden.

In Deutschland äußert sich die Berliner Tageszeitung Die Welt am pessimistischsten: „Jede weitere Rettung treibt Europa auseinander“.

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Dass die 100 Milliarden Euro an Krediten für Spaniens Banken zu einem nachhaltigen Stimmungswandel führen können, darf man aber schon jetzt ausschließen. Diese Wirkung hätte sich nur einstellen können, wenn die Hilfe tatsächlich als Ausdruck europäischer Entschlossenheit und europäischen Gemeinsinns gewertet werden könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Krisenmanagement im Fall Spanien offenbart vielmehr, wie tief die Risse in Europa tatsächlich sind. Eine zwischen Egoismus und Dilettantismus schwankende Regierung in Madrid einerseits und eine nur mit mehr und minder brachialem Druck reagierende Staatengemeinschaft andererseits vermitteln eben kein Vertrauen. [...] [W]ie will man sich beispielsweise auf sinnvolle Spielregeln für eine Fiskalunion einigen, wenn man schon bei der Rettung maroder Banken in einem Mitgliedsland den anhaltenden Dissens nur mühsam verbergen kann?

Nach dem Hilfegesuch Spaniens begräbt das Diário Económico in Portugal sämtliche Hoffnungen auf eine Lockerung der Bedingungen des portugiesischen Rettungspakets. Nach Berichten der Tageszeitung halte

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die Europäische Kommission eine Neuverhandlungen der Bedingungen des portugiesischen Rettungspakets für ‚sehr schwierig’. Die Regierung in Lissabon entschied sich in der Tat dafür, keine Neuverhandlungen zu verlangen. Das portugiesische Rettungspaket baut auf drei Pfeilern auf: Staatsfinanzen, Rekapitalisierung der Banken und Strukturreformen. Die Bedingungen sind hier also nur an den Finanzsektor geknüpft.

Die Tatsache, dass Europa eingreift, bedeutet aber noch lange nicht, dass die Märkte Spanien auch wieder vertrauen werden, warnt der Wirtschaftsexperte Federico Fubini im Corriere della Sera. Es könnte sogar das Gegenteil eintreffen. Schließlich muss der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), über den Spaniens Hilfen finanziert werden, vor allen anderen an die Kreditgeber zurückgezahlt werden. Die Gläubiger laufen von nun an also eine immer größere Gefahr, nicht ausbezahlt zu werden. Darüber hinaus, meint Fubini,

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könnte ein ESM-Darlehen Spaniens Staatsverschuldung in die Höhe treiben. In den kommenden fünf Jahren könnte sie daraufhin die 100-Prozent-Marke überschreiten und Privatinvestoren noch mehr Angst einjagen. Sämtliche internationale Banken haben dieses Risiko bereits ins Auge gefasst. [...] Die Hilfen für die Banken drohen zur ersten Rettungsmaßnahme einer ganzen Reihe anderer zu werden. [...] Italien ist dagegen das einzige in Schwierigkeiten steckende Land, das noch um keinerlei Hilfen bitten musste. Das könnte auch weiterhin so bleiben. Wenn sich die spanischen Zinssätze nach den Hilfen für die Banken stabilisieren, könnten die italienischen sogar sinken. Und in der Zwischenzeit könnte ein europaweites Banken-Abkommen dafür sorgen, dass sich die Wogen glätten. Anderenfalls wird man immer unsicherer werden und Italien mit immer aufmerksameren Augen verfolgen.

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