Europäischer Rat

„Eine Schlacht ist gewonnen“

Der „Club Med“ bekommt eine wenig Luft, und Deutschland wahrt das Gesicht: Für die europäische Presse verzeichnet der Gipfel in Brüssel Fortschritte bei mehreren Aspekten der Schuldenkrise.

Veröffentlicht am 29 Juni 2012 um 15:33

„Mariano Rajoy und Mario Monti — Mario&Mariano — haben zweifelsohne bei den schwierigen EU-Verhandlungen gewonnen“, schreibt Carlos Segovia in der Tageszeitung El Mundo:

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  1. Die Schlacht. Rajoy hat drei wichtige Ergebnisse erzielt. Erstens: dank Mario Monti kann der europäische Rettungsfonds nun ohne Intervention [der Troika] Anleihen der Krisenländer wie Griechenland kaufen. [...] Zweitens: Der Rettungsfonds erhält nicht den Status des bevorzugten Gläubigers [der vor den privaten Gläubigern ausbezahlt werden muss], was ausschlagend dafür ist, dass man sich für den Kauf von spanischen oder italienischen Anleihen entscheidet. [...] Drittens: Eine Bankenunion scheint näher als erwartet [...], was bedeutet, dass notleidende Banken Hilfe bekommen können, für welche der Staat nicht direkt aufkommen muss. 2. Der Krieg. Ist immer noch nicht beendet. Es fehlt ein solides Abkommen und eine politische Führung, um nun rasch Eurobonds auszugeben, die Investoren wirklich vom Spekulieren gegen die schwächsten der Euro-Länder abhalten können. [...] Dieser Krieg wird noch Jahre brauchen.

Für die Tageszeitung El País ist mit dem Gipfel die Ära „Merkozy“ beendet worden, in der Merkel und Sarkozy Europa auf ihre Linie bringen wollten. Der französische Staatspräsident François Hollande,

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der unterschätzte Normalo, [...] hat sich an die Spitze der Länder des „Club Med“ gesetzt, um die Interessen der Peripherie und damit gleichzeitig seinen ersehnten Wachstumspakt zu verteidigen. [...] Hollandes Strategie auf dem Gipfel hat sich als geschickt erwiesen, denn es gibt weder Gewinner noch Verlierer, siegreich oder gedemütigt. Alle haben gewonnen. Spanien und Italien können ein zufriedenstellendes Abkommen an ihre Öffentlichkeit verkaufen. Merkel gewann die Sympathie von vielen. Und für Frankreich ermöglichte die ruhige Eleganz seines Präsidenten, nicht mehr als Handlanger Berlins wahrgenommen zu werden, sondern als Schlüsselfigur der Einigung und eifriger Verteidiger des Euro, selbst wenn dies einen Transfer von Souveränität mit sich zieht.

In Paris betont Le Figaro, dass die Bundeskanzlerin letztlich eingelenkt hat, obwohl im Bundestag am heutigen Freitag über die Ratifizierung des Fiskalpakt entschieden werden soll:

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Hart wie Stein, wie eine Statue sollte sie sein. Doch unter dem Dauerbeschuss der Partner Südeuropas hat Angela Merklich letztlich ein paar Zugeständnisse gemacht. Die Getreuen der Kanzlerin können behaupten, dass sie hart geblieben ist und beim Wesentlichen nicht nachgegeben hat: den Eurobonds. [...] Ihre Taktik war Unnachgiebigkeit, um jeder Form der Vergemeinschaftung der Schulden zu wehren. Doch in Brüssel musste Merkel bei einem Prinzip, das in allen Etagen des Kanzleramts und des Finanzministeriums seit Anfang der Krise permanent wiederholt wird, klein beigeben: Keine Finanzhilfen zusprechen, ohne im Gegenzug ein striktes Sparprogramm und Strukturreformen zu bekommen.

„Blockade gelockert“, kommentiert die Tageszeitung, meint aber, dass die nun beschlossenen Maßnahmen allenfalls kurzfristig die Probleme lösen. Für den Kommentator Malte Kreutzfeld ist die gute Nachricht das Ende des „deutschen Diktats“:

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Die eigentlich gute Nachricht vom Gipfel ist, dass auch die Chance für eine langfristige Lösung gestiegen ist. Denn Bundeskanzlerin Merkel ist mit ihrem starren Blockade-Kurs krachend gescheitert. Die anderen EU-Staaten haben sich dem deutschen Diktat nicht gebeugt, sondern den Konflikt eskaliert. Mit ihrer Drohung, andere Beschlüsse wie den Wachstumspakt zu blockieren — den Merkel wiederum für die notwendige Zweidrittelmehrheit bei der Fiskalpakt-Abstimmung im Bundestag unbedingt braucht — haben sie die Kanzlerin zum Einlenken gezwungen.

Für Corriere della Sera liegt zum Abschluss das Hauptproblem des Europäischen Rates in Brüssel in der Schwierigkeit, einen gemeinsamen Nenner für die unterschiedlichen Interessen der Länder zu finden. Doch um ein Scheitern des Euro zu verhindern, sind sowohl „Kurskorrekturen“ als auch „gegenseitiges Vertrauen“ vonnöten:

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Bundeskanzlerin Merkel muss anerkennen, dass das Projekt von Van Rompuy, Barroso und Draghi ein glaubwürdiger Entwurf für eine Banken- und Fiskalunion ist. Der französische Staatspräsident wird die begrenzten EU-Investitionen als ersten Schritt eines Wachstumsprogramms sehen. Und unser, sowie der spanische Regierungschef, werden gegenüber den Partnern der Währungsunion — falls nötig mit einem unilateralen Souveränitätstransfer — sicherstellen müssen, dass die systematischen EU-Initiativen, um die Differenz der Zinssätze auf Staatsanleihen und das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit der Banken zu verringern, nicht die steuerlichen Verpflichtungen gegenüber der Währungsunion und der EU schmälern, sondern im Gegenteil stärken werden.

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