Mladen Markač und Ante Gotovina bei ihrer Ankunft in Zagreb, 16. November 2012

Markač und Gotovina: Freispruch reißt alte Wunden auf

Der Freispruch der Generäle Gotovina und Markač durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien rettet Kroatiens Ehre, behebt aber nicht alle Fragen über die jüngere Vergangenheit des Landes, findet die Presse in der Region. In Serbien wird die Nachricht schlecht aufgenommen.

Veröffentlicht am 19 November 2012 um 16:30
Mladen Markač und Ante Gotovina bei ihrer Ankunft in Zagreb, 16. November 2012

Die beiden kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač standen zwar unter Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurden in Kroatien jedoch als Helden betrachtet. Am 16. November wurden sie von der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien freigesprochen. Für ihre Handlungen im August 1995, bei der Rückeroberung von Krajina – einer kroatischen Region, die damals von der selbsternannten serbischen Republik kontrolliert wurde –, waren sie in erster Instanz zu je 24 und 18 Jahren Haftstrafe verurteilt worden. Diesmal waren die Richter der Ansicht, dass sie nicht vorsätzlich gegen Zivilisten vorgegangen waren und keinen bewussten Plan zur ethnischen Säuberung umgesetzt hatten.

Das Urteil wurde in Kroatien mit Spannung erwartet, lässt aber „keinen Platz für Euphorie“, schreibt die Novi List. Die Tageszeitung aus Rijeka erinnert daran, dass die EU die Verhaftung des flüchtigen Gotovina und seine Auslieferung nach Den Haag zur Bedingung gemacht hatte, um die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien einzuleiten. Vor seiner Festnahme im Dezember 2005 hatte keine Diskussion stattfinden können. Heute, so erklärt Novi List,...

...wird der Freispruch der Generäle Gotovina und Markač nicht das Gefühl auslöschen, dass Kroatien den langen Leidensweg, den es mit dem Prozess des EU-Beitritts durchlaufen musste, hätte vermeiden können. [...] Man muss sich fragen, wie Kroatien innerhalb von vier Jahren, vom Sturz Vukovars [im November 1991] bis zur Rückeroberung der Krajina, seinen Status als Opfer verlieren und zum potentiellen Angreifer werden konnte. [...] Ehrlich gesagt, triumphieren hier nicht die nationalen Mythen und Legenden, wie diejenigen behaupten, die früher beteuerten, es habe während des kroatischen Befreiungskriegs gar keine Verbrechen geben können, oder diejenigen, die – angeblich im Interesse Kroatiens – Lügen erzählten und sich weigerten, die Verbrecher zu verfolgen.

„Sie verteidigten Kroatien mit allen Ehren“, titelt hingegen Jutarnji list, und bemerkt folgendes:

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... das Urteil des Gerichtshofs in Den Haag macht die Verschwörungstheorien der Rechtsextremisten nun ungültig. Für letztere war die Institution ein Instrument der imperialistischen britischen Politik gewesen, das versuchte, alle Verbrechen auf die gleiche Stufe zu stellen, und dessen Opfer General Gotovina war. Wäre er nicht vier Jahre lang verschwunden geblieben, hätte Kroatien weit früher der EU beitreten können. Doch das ist die Vergangenheit, jetzt kann man ihm nur wünschen, nach elf Jahren auf der Flucht und im Gefängnis möglichst schnell zu einem normalen Leben zurückzukehren.

Der positive Schlussstrich für Kroatien, der mit dem Urteil unter die Affäre gezogen wurde, „fördert Investitionen in Kroatien höchstwahrscheinlich wenig, kann aber ein freundlicheres Geschäftsklima schaffen“, hofft ihrerseits Poslovni Dnevnik. Die Wirtschaftszeitung unterstreicht, dass

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...sich die Politik- und Wirtschaftsbeziehungen zu Serbien entwickeln und sich nicht verschlechtern dürften.

In Belgrad glaubt Politika, dass „sich der Freispruch der Generäle Gotovina und Markač durch das ICTY weniger auf die Beziehungen zwischen Serbien und Kroatien, als auf die Region und das Verhalten der Serben bezüglich der europäischen Integration auswirken wird“. Der Tageszeitung zufolge...

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ist es ein schlechtes Omen für den Aussöhnungsprozess in der Region, denn das Urteil zeugt von Verachtung gegenüber den Opfern und Flüchtlingen, die auch zwanzig Jahre nach dem Krieg nicht nach Kroatien zurückkehren können.

Für die Boulevardzeitung Blic „entfernt die Schmach von Den Haag Europa noch weiter von den Serben”. Der Freispruch der Generäle hilft Kroatien durchaus, „von aller Schuld reingewaschen” der EU beizutreten, meint der von Politika zitierte Politikwissenschaftler Predrag Simić. Er hebt aber andererseits hervor, dass ...

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...das Urteil von Den Haag Serbien noch weiter von einer europäischen Integration entfernen (der Zuspruch für einen Beitritt ist unter 50 Prozent gesunken) und die Verhandlungen mit dem Kosovo erschweren könnte. Das Urteil ist weder für Serbien, noch die EU und das Völkerrechteine gute Nachricht.

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