Die Verhandlungen basieren auf einem Vorschlag von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, der vorsieht, 73 der vorgesehenen 1033 Milliarden Euro des Gesamthaushalts zu streichen. Die „Großen“— an erster Stelle Großbritannien — sollen entlastet werden, während die „Kleinen“ um die für sie lebensnotwendigen Gelder aus dem Kohäsionsfonds fürchten.
Für den Chefredakteur des Daily Telegraph ...
wird Herr Cameron (und wir denken, auch andere große Beitragszahlerstaaten, deren Steuerzahler nicht mehr die schamlosen Ausschweifungen der EU-Institutionen mittragen wollen) diesmal die Stellung halten. Da die EU über ein Siebenjahresbudget verhandelt, ist jetzt die Gelegenheit, der finanzpolitischen Inkontinenz der EU-Kommission ein Ende zu setzen. Eine Ambition, die auch von jenen geteilt werden müsste, die fürchten, dass ein Veto langfristig Großbritanniens Platz innerhalb der Union aufs Spiel setze. Wenn überhaupt irgendetwas das von den EU-Funktionären so gefürchtete antieuropäische Ressentiment schürt, dann ist es die arrogante Weigerung Brüssels, die eigene aufgeblähte Bürokratie in den Griff zu bekommen oder gar abzubauen.
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Portugal kommt mit der Befürchtung nach Brüssel, dass die gewährten Strukturfonds für die ländliche Entwicklung zwischen 2014 und 2020 um 5,25 Milliarden gekürzt werden könnten. Die Lissabonner Zeitung Público schreibt:
Es war schon immer schwierig war, den Haushalt zu verabschieden. Doch diesmal machen die nationalen Interessen, die offenen Wunden durch die Eurokrise und die verschiedenen Ansichten über die Zukunft der Union eine Einigung quasi unmöglich. Hätte die EU-Kommission noch dieselbe Macht wie vor einiger Zeit, wäre es für die Mitgliedsstaaten vielleicht akzeptabel gewesen, das Finanzpaket um rund 5 Prozent zu erhöhen. [...] So aber wurde bei dem gegeben Kräfteverhältnis der Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Barroso sogleich vom EU-Ratspräsidenten Van Rompuy gekippt. Und dennoch geben sich die verschiedenen Länder extrem reserviert und drohen gar mit einem Veto. [...] Die Kakophonie verstärkt sich und Europa kommt dem institutionellen Chaos immer näher.
El País in Spanien teilt diese Befürchtungen. Die Kürzungen kommen zu einem denkbar schlechten Augenblick für das Land:
Sollte sich der Vorschlag [Van Rompuys] durchsetzen, wird Spanien 20 Milliarden Euro verlieren, und mitten in der Rezession würde das Land erstmals zu einem Nettozahler des EU-Strukturfonds werden.
Die ungarische Tageszeitung Magyar Nemzet aus Budapest ist empört:
Dass die Kürzungen auf Kosten der armen Länder und zum Vorteil der reichen gemacht werden sollen, ist völlig skandalös und inakzeptabel. Eine — wenig überraschende — Ohrfeige für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Aus mysteriösen Gründen ist Ungarn das Land, dem Brüssel das meiste Geld aus den Strukturfonds entziehen will.
„Europa, kneife nicht“,titelt Gazeta Wyborcza, die Van Rompuys Kompromiss als recht gut für Polen befindet. Die Tageszeitung fügt jedoch auch hinzu , dass es ein Erfolg wäre, wenn man den Haushalt vor weiteren Kürzungen bewahren könnte:
Van Rompuys Vorschlag ist ziemlich „deutsch“. Die Experten in Berlin spekulieren darüber, dass Polen 2-3 Milliarden Euro mehr und Frankreich 2 bis 3 Milliarden weniger geben könnten. Und damit wäre der Deal unter Dach und Fach. [...] Das Problem ist nur, dass solch vernünftige Berechnungen von den wieder erstarkenden antieuropäischen Gefühlen im krisengeschüttelten Europa überschattet werden.
Le Monde wiederum analysiert die nationalen Interessen, welche die Mitgliedsstaaten dazu bewegen, sich gegen die verschiedenen Optionen zu wehren. Es handele sich „um einen verlogenen Egoismus“, meint die Pariser Tageszeitung, denn hinter dem „Ich will mein Geld zurück“, wie es einst Margaret Thatcher sagte, verstecke sich eine gut eingespielte Komödie:
„Das egoistische Credo entspricht nicht der Wirklichkeit der Euro-Länder. [...] Die Europäer wollen zwar nicht solidarisch sein, aber sind es faktisch doch. Sie sind wie ein altes Ehepaar, dass sich nicht scheiden lassen will und gezwungenermaßen im selben Haus wohnt, und wo jeder dem anderen misstraut und sein Taschengeld zweimal nachzählt.“
Ähnlich sieht dies die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie denkt, dass die Lage alles andere als dramatisch sei. „Der EU-Haushalt ist auf der Zielgeraden“, schreibt das Blatt, auch wenn es noch Meinungsverschiedenheiten gebe:
„Dennoch gilt es als möglich, dass sich die Staaten bis spätestens Sonntag einigen. Von allen Seiten kommen positive Signale. Selbst die Briten, die bisher mit einem Veto drohten, loben plötzlich den Kompromiss, den Ratspräsident Herman Van Rompuy vor kurzem vorgelegt hat.[...] Zu groß ist offenbar die Sorge, dass ein Scheitern angesichts der andauernden Euro-Krise der EU ernsthaft schaden könnte. [...] Die Stoßrichtung der Kommission war klar: Angesichts der Euro-Krise wollte sie die großen EU-Beitragszahler wie Deutschland nicht mit zu hohen Forderungen brüskieren.[...] Van Rompuy kommt mit seinem Kompromiss vor allem Deutschland und den anderen großen Beitragszahlern entgegen. Er sieht Verpflichtungen von 973 Milliarden Euro vor, ist also nahe an den von Deutschland geforderten 960 Milliarden Euro.“