Press review Enrico Letta
Angela Merkel and new Italian PM Enrico Letta at the Chancellery in Berlin on April 30

Neuer Spieler, altes Spiel

Am Tag nach seinem Amtsantritt reiste der italienische Ministerpräsident Enrico Letta nach Berlin, Paris und Brüssel, um dort nicht nur sein Engagement für Europa zu beteuern, sondern auch seine Überzeugung, dass die Sparpolitik gelockert werden muss. Doch es ist fraglich, ob er sich Gehör verschaffen kann, meint die europäische Presse.

Published on 2 May 2013 at 14:47
Angela Merkel and new Italian PM Enrico Letta at the Chancellery in Berlin on April 30

Es war ein „Debüt ohne Minderwertigkeitskomplexe“, schreibtLa Stampa nach Enrico Lettas erster diplomatischer Europatournee. Nach seiner Vereidigung am 29. April traf sich der italienische Ministerpräsident am 30. April mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und am 1. Mai mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande und dem Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso.

Er musste „sich in Berlin und Paris vorstellen, wo mehr über das Schicksal Italiens entschieden wird als man meinen könnte“. Trotz seines jungen Alters – erst 46 – „versetzte er sich innerhalb weniger Stunden [in die Haut eines] Regierungschefs“, stellt die Tageszeitung fest. Doch Europas Vertrauen wird nicht so leicht zu gewinnen sein, wie in einem Leitartikel der Stampa zu lesen ist:

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In diesen äußerst schwierigen Zeiten, während Europas interne politische Beziehungen durch den immer größer werdenden Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland außerordentlich gestört sind, ist [Lettas Reise] das erste einer Reihe von Treffen, in welchen Italien das Problem des schwierigen – wenn nicht unmöglichen – Gleichgewichts zwischen Sparpolitik und Wachstum aufwerfen muss. [...] Italien wird entschlossen versuchen, das zu bekommen, was auch Spanien, Portugal und Irland gewährt wurde: zwei Jahre Aufschub für den ausgewogenen Haushalt, der für 2013 angesetzt war. [...] Dies könnte einen Bonus von 10-20 Milliarden Euro einbringen, der dazu beitragen könnte, die jetzige festgefahrene wirtschaftliche Lage zu überwinden. Italien ist in einer absurden Situation: Es hat massive Beiträge an den ESM geleistet, um Problemländern wie Griechenland zu helfen, darf aber selbst nicht einmal eine Milliarde ausgeben, um seine eigene Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

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Lettas zeitige diplomatische Reise war „eine gute Idee“ meint Il Sole 24 Ore. Nicht nur, um „Italiens politischere Stellung auf internationaler Ebene“ zu unterstreichen, sondern auch, um Lettas eigene Position hinsichtlich der Streitigkeiten zu festigen, die seine große Regierungskoalition bereits erschüttern – insbesondere die von PDL-Chef Silvio Berlusconi verlangte Erstattung der Immobiliensteuer. Letta...

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...hat seine Karten auf den Tisch gelegt und lässt damit das lange vergessene Ziel eines politischen Europas wieder aufleben. Nun weiß die Kanzlerin, dass eine andere Tonart angeschlagen wird und die neue Mehrheit sich wieder des europäischen Ideals bemächtigen will, in dem die Entwicklung der Wirtschaft Priorität hat. [...] Die 25 Prozent der Wahlstimmen, die die nonkonformistische Fünf-Sterne-Bewegung bekam, sind eine Alarmglocke, die nicht nur für Italien geschlagen hat: Die Bedrohung durch den Populismus betrifft ganz Europa und muss auch durch den Wiederaufbau der traditionellen Achse Italien-Deutschland bekämpft werden.

Auf deutscher Seite [begutachtet Die Zeit] (http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-05/italien-letta-besuch-berlin) den „braven Jungen“, der auf den „lächelnden Charmeur“ Berlusconi und den „höflichen Professor“ Monti folgt.

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[Letta] will eine vertrauensvolle Beziehung mit der Bundeskanzlerin aufbauen. Denn die Beziehungen zu Deutschland werden für seine Regierung von entscheidender Bedeutung sein. […] Letta braucht eine starke, parteiübergreifende Legitimierung in Europa. Denn ohne diese ist er der Willkür seiner Regierungspartner ausgeliefert.

Was den Gedanken an ein Bündnis mit dem französischen Präsidenten François Hollande betrifft, um „nach einer Aufweichung des Stabilitätspaktes und damit der Defizitziele zu rufen“, so findet Der Standard diesen „maßlos übertrieben“. Die österreichische Tageszeitung erklärt:

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Länder wie Italien oder Frankreich, die sich am lautesten als Kritiker der Austeritätspolitik hervortun, haben ihre eigenen Möglichkeiten [zur Reduzierung des Defizits] längst nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil: Die französische Regierung hat im Vorjahr das Pensionsalter [...] gesenkt - von 62 auf 60. [...] In Rom macht sich die neue Regierung daran - getrieben von Cavaliere Silvio Berlusconi-, Reformen des Vorgängerkabinetts zurückzunehmen.

Enrico Lettas Europareise sei im Endeffekt nichts mehr als eine „fromme Wallfahrt“, findet Kolumnenautor Alfonso Rojo in ABC. Dadurch, dass er Berlin zuerst besucht hat, zeigt der neue italienische Ministerpräsident einfach, dass er weiß, wer in der EU das Sagen hat:

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Manche Leute sagen sarkastisch, dass dieser Staatsbesuch eher den Anschein einer ‚frommen Wallfahrt’ hat. Eine Wallfahrt, weil er eine obligatorische Reise auf der Suche nach Erlösung ist. Fromm, weil es so aussieht, als kämen europäische Staats- und Regierungschefs fast auf Knien zu Angela Merkel. [...] Nach dem Treffen mit der Kanzlerin und in der darauffolgenden Pressekonferenz schien Letta nicht so grimmig. [...] Angela Merkel wiederholte das Mantra, Europa müsse „aus der Krise stärker hervorgehen als zuvor“ und alle lächelten, obwohl das Spiel klar ist. Wie François Hollande erfahren musste und Mariano Rajoy schon zeigt, weiß Enrico Letta, wer in der EU das Sagen hat.

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