“Die Eurozone fährt sich in der Rezession fest”

Am 15. Mai trafen die Wachstumszahlen Europa wie ein Keulenschlag: Die Wirtschaft der Eurozone ist für das sechste Quartal in Folge rückläufig. Das ist die längste Zeitspanne mit einem sinkenden Wachstum seit Einführung der gemeinsamen Währung. Die europäische Presse kommentiert.

Veröffentlicht am 16 Mai 2013 um 16:07

Der befürchtete Douple-Dip ist zur Wirklichkeit geworden: Das Wachstum in der Eurozone betrug im ersten Quartal durchschnittlich -0,2% (im Vergleich zu -0,1% für die Gesamtheit den 27 EU-Staaten) und die Aussichten für das gesamte Jahr sind kaum besser (-0,7%), so berichtet Eurostat. Die Presse führt dieses Resultat vorwiegend auf die Sparpolitik zurück.

„Die Eurozone stellt den tristen Rekord der längsten Rezessionsperiode auf“, fasst die Financial Times in ihrer Schlagzeile zusammen. Die Wirtschaftszeitung stellt fest, dass „dieser neueste düstere Rekord erfolgte, nachdem die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auf einen Höchststand von 12,1 Prozent stieg“, und dass diese Zahlen „wahrscheinlich noch stärkeren Druck auf die Europäische Zentralbank ausüben werden, damit diese nach den Zinssenkungen diesen Monat noch weitere Maßnahmen ergreift und auch ihre wirtschaftlichen Voraussagen hinsichtlich einer Erholung bis Ende des Jahres nach unten hin korrigiert.“ Für die Financial Times, üben die neuen Zahlen – die zeigten, dass Frankreich wieder in der Rezession steht – weiteren Druck auf den französischen Präsidenten François Hollande aus, damit er Strukturreformen in der Wirtschaft durchsetzt.

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Die deutsche Regierung ist zunehmend besorgt, das Krisenmanagement in der Eurozone könne unmöglich werden, falls Hollande nicht schnell reagiert. Berlin hält die meisten der aktuellen Krisenländer für kontrollierbar, wenn auch ein Aufflammen in Italien schwere Probleme darstellen würde. Doch wenn die Krise auf Frankreich übergreift, dann würde in Berlins Augen das Bestehen des Euro erneut in Frage gestellt werden.“

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In Paris hofft Les Echos, dass die – inzwischen offizielle – Rezession „Frankreich zur Reform zwingen wird“. Auf derselben Wellenlänge wie die FT ruft auch Jacques Attali, Wirtschaftsexperte und ehemaliger Berater von François Mitterrand, François Hollande zu einem „Schock der Reformen“ auf:

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Ob es sich nun um Wettbewerbsfähigkeit, um Reduzierung des Haushaltsdefizits oder um europäischen Themen handelt, hat François Hollande schon viel getan, deutlich mehr als sein Vorgänger in derselben Zeit. Er hätte noch schneller vorgehen müssen. Das Amt des Präsidenten ist wie schnell härtender Zement: Je länger man wartet, desto schwieriger ist es, zu handeln. Doch nichts von dem, was bisher nicht getan wurde, ist irreversibel. Er muss das Tempo beschleunigen.

Für România liberă kündigt die Rezession in der Eurozone ein Jahr 2013 an, das „ins Rote umschlägt“. Die Tageszeitung aus Bukarest stellt fest, dass die schlechte Leistung der europäischen Wirtschaft sogar jenseits des Atlantiks Beunruhigung auslöst:

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Die Sparpolitik wird [dort] als eine der Hauptursachen für die Flaute angesehen. Tatsächlich ist die ganze Welt besorgt darüber, dass Europa als einziger Kontinent kein Wachstum verzeichnet und zwanghaft das Leitmotiv der Sanierung der Staatsschulden kultiviert. Diese Politik läuft Gefahr, die europäischen Völker in die Verzweiflung zu treiben. [...] Man sollte ihre Verärgerung berücksichtigen.

„Die Eurozone fährt sich in der Rezession fest“, titelt wiederum El Correo. Es sei „die längste Rezession ihrer Geschichte“, wie die Tageszeitung betont:

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Das Dilemma der Eurozone besteht nicht nur darin, die Konsolidierung der Haushalte mit den Ankurbelungsmaßnahmen zu vereinbaren, die ständig Gegenleistungen verlangen. Sie muss auch wissen, ob die harten, nicht enden wollenden Anpassungen nicht jegliche Belebungsperspektive ersticken.

Die Niederlande, die gerade „die schlimmste Wirtschaftsperiode mit Ausnahme des Kriegs“ erleben, bleiben von diesem Trend nicht verschont. Doch hier „vermeiden die Verbraucher eine starke Rezession“, wie NRC Handelsblad titelt. Die Tageszeitung erklärt, dass sich die im dritten Quartal 2012 begonnene Rezession im ersten Quartal 2013 mit einem Rückgang um 0,1% im Vergleich zum Vorjahr fortsetzt. Die Tageszeitung beruft sich dabei auf die Zahlen, die das zentrale Statistikamt am 14. Mai veröffentlichte. Dass sie nicht so dramatisch ausfallen, so betont NRC, sei insbesondere auf ein paar „Lichtpunkte“ zurückzuführen:

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Der Außenhandel ist gut gelaufen, mit einem einprozentigen Anstieg der Exporte im ersten Quartal [...]. Doch der Verbrauch der Haushalte ist extrem positiv. Er macht knapp die Hälfte des BIP aus [...] und ist im Vergleich zum vierten Quartal 2012 um 0,4% gestiegen. Das sieht nach wenig aus, doch die Verbraucher geben zum ersten Mal seit 2011 ein bisschen mehr aus.

Die Erschütterungen in der Eurozone wirken sich auch auf die Länder aus, die nicht zu ihr gehören. So leidet die Krone in der Tschechische Republik an den Nachwirkungen: Sie hat seit September 2012 im Verhältnis zum Euro sechs Prozent verloren, so stellt Hospodářské noviny in Prag fest. Für die Wirtschaftszeitung...

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...ist die in einem Jahr um fast zwei Prozent des BIP geschrumpfte Wirtschaft eine böse Überraschung. [Zudem] hat die tschechische Wirtschaft ihre letzte Stütze eingebüßt: die Exporte.

„Europa erstickt“, titelt die Gazeta Wyborcza, die ganz offen der Sparpolitik die Schuld gibt. „Das Engerschnallen der Gürtel treibt uns in die Rezession“, warnt die Tageszeitung. Polens statistisches Amt kündigte an, die Wirtschaft des Landes habe im Vorjahresvergleich im ersten Quartal 2013 nur um 0,4 Prozent zugenommen – das schlechteste Resultat der letzten vier Jahre und es folgt auf sechs aufeinanderfolgende Rezessionsquartale in der Eurozone. GW zitiert ING-Chefökonom Mark Cliffe, der meint: „Wenn der derzeitige Sparkurs weitergeführt wird, gehen noch mehr Länder bankrott.“ Die Tageszeitung weist auch darauf hin, dass die Wirtschaftslage in den Ländern, in denen die strengsten Sparmaßnahmen eingeführt wurden, besonders schlecht ist, so etwa in Spanien, Italien, Portugal, Zypern und Griechenland.

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Führende europäische Politiker, vor allem die Deutschen, argumentieren schon lange dafür, dass Sparen der Schlüssel zur Krisenbewältigung ist. Es stimmt zwar, dass die Strategie der Sparmaßnahmen zur Reduzierung der Haushaltsdefizite geführt hat, doch zugleich führte sie auch zur Verschlechterung der Wirtschaftslage und zu sozialer Frustration.

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