Große Koalition
Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD). "Die große Koalition präsentiert: Mehr Ausgaben. Mehr Abgaben."

„Deutschland ist kein Vorbild für Europa mehr“

Der lang erwartete Koalitionsvertrag zwischen Angela Merkels Christdemokraten und den Sozialdemokraten wurde am 27. November vorgestellt und ruft bei der deutschen Presse keine große Begeisterung hervor. Die einen finden ihn zu großzügig, die anderen im Hinblick auf Europa zu kurzsichtig.

Veröffentlicht am 28 November 2013 um 15:25
Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD). "Die große Koalition präsentiert: Mehr Ausgaben. Mehr Abgaben."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann dem Vertrag überhaupt nichts abgewinnen, insbesondere wegen der vielen „sozialen Wohltaten“, die er vorsieht – etwa den Mindestlohn von 8,50 Euro oder das Rentenalter, das auf Drängen der SPD von 67 auf 63 Jahre (nach mindestens 45 Jahren Beitragszahlungen) heruntergestuft wird. Für die konservative Zeitung handelt es sich hier um einen „großen Brei“, der „lange weichgekocht“ wurde, bis ihn alle „verdauen“ können:

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Große Koalitionen sind großherzig. Das ist einer der Gründe, warum sie beim Volk beliebter sind als kleine. Auch die dritte große Koalition will die Deutschen jedenfalls in dieser Hinsicht nicht enttäuschen. Denn jede der drei Parteien hat ein großes Herz für die sogenannten kleinen Leute, und jede wollte, dass ihre „Handschrift“ im Koalitionsvertrag erkennbar ist. Das Ergebnis ist ein Pakt, der ein Füllhorn von sozialen Wohltaten über dem Land ausschüttet. Vom Mindestlohn über die Mütterrente bis hin zum Doppelpass ist für jeden etwas dabei. [...] Viele Deutsche werden aber auch die verborgenen Kosten dieser Segnungen noch erfahren, und sei es erst in den nächsten Generationen.

Die Welt empört sich aus denselben Gründen: „Diese Koalition hat keine Idee von sich und dem, was sie dem Land zumuten kann und will“, sorgt sich die Zeitung, die der Ansicht ist, Deutschland könne „für Europa nicht länger Vorbild sein“, wenn es seinen Sozialstaat weiter „mästet“:

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Der Koalitionsvertrag atmet den Geist des regelungsverliebten, postheroischen Etatismus. Die Freiräume, die Gerhard Schröder als Agenda-Kanzler zum Gedeihen der Volkswirtschaft und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit schuf, werden systematisch zurückgenommen. [...] Das Signal für Europa ist verheerend. Wir predigen den Krisenländern oberlehrernd Austerität und Entbehrung und mästen den drallen Sozialstaat weiter, anstatt ihn auf Diät zu setzen. Deutschland kann für Europa nicht länger Vorbild sein.

„Die neue Regierung ignoriert Europas Krise“, bedauert auch Wolfgang Münchau im Spiegel Online. Zum Thema Bankenunion liefere der Vertrag nur „minimale Verschiebungen“:

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Die unveränderte Euro-Krisenpolitik bedeutet, dass wir auf der wichtigsten wirtschaftspolitischen Baustelle unserer Zeit überhaupt keine Fortschritte machen werden. [...] Eine echte Bankenunion mit gemeinsamen Abwicklungsfonds und gemeinsamer Einlagenversicherung wäre ein wichtiger Beitrag zur Lösung der Krise. Wichtiger noch ist eine Politik zum schnellen Abbau der Altschulden. [...] Mit der Großen Koalition macht sich die SPD an Merkels historischem Fehler der Konkursverschleppung mitschuldig.

Die taz betont hingegen die Tatsache, dass sich Angela Merkel bei den Steuern und beim Euro durchgesetzt hat. Die Steuern werden also für die Reichsten nicht erhöht, wie von der SPD verlangt. Dafür begrüßt die linksgerichtete Tageszeitung die Einführung eines Mindestlohns:

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Auf der Habenseite stehen die verbesserten Bedingungen für die „working poor”: Es wird, überall zwar erst 2017, einen Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Und prekäre Jobs werden besser reguliert werden. Manches ist dabei zu wolkig. Aber die Richtung ist klar: Wer arbeitet, soll nicht mehr so ausgebeutet werden wie bisher. [...] Dieser Koalitionsvertrag ist [...] eine Art Reparaturanleitung für das beschädigte Gewebe der Gesellschaft.

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