Schweiz: „Willkommen in der Eurozone“

Nach monatelangem Hin und Her über den plötzlichen Anstieg des Schweizer Franken hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) letztendlich beschlossen, einen Mindestwechselkurs zwischen ihrer Währung und dem Euro festzusetzen. In Europa schwanken die Reaktionen zwischen Erstaunen und Neugier über diese Entscheidung, die getroffen wurde, während der Euro eine unruhige Zeit durchläuft.

Veröffentlicht am 7 September 2011 um 15:22

Die Kernoption“, die darin besteht, einen Mindestwechselkurs zwischen dem Schweizer Franken und dem Euro festzusetzen (1,20 CHF für 1,00 EUR), ist ein „großes Wagnis“, titelt Le Temps. Für die Genfer Tageszeitung ist diese Entscheidung

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eine frontale Herausforderung der „Logik der Finanzmärkte, die [im Schweizer Franken] eine Währung sehen, in die sie sich vor der kurz vor dem Implodieren stehenden Eurozone und vor dem durch Schuldenberge und Defizite beschwerten Dollar flüchten können“. „Die SNB urteilte zu Recht, dass die Eurozone und die amerikanische Wirtschaft mittelfristig keinerlei Garantien über eine scheinbare Stabilität geben. Für die Exportunternehmen wurde der Wertgewinn des Franken, so schnell und brutal wie er war, unerträglich und lebensgefährlich [seit Anfang des Jahres ist die Schweizer Währung im Vergleich zum Euro um 11 und im Vergleich zum Dollar um 15 Prozent gestiegen]“, erklärt die Tageszeitung.Seit der Ankündigung der SNB ist die Stimmung in der Schweiz sehr gespannt. Der Redakteur von Le Temps weissagt seinen Landsleuten „lange und unruhige“ Nächte, „so groß ist die Gefahr eines Irrtums, der teuer zu stehen käme“. Und erklärt abschließend: „Jetzt sind wir noch ein bisschen mehr an die Eurozone gebunden, auf Gedeih und Verderb, und anscheinend ohne jegliche Hilfe der Europäischen Zentralbank, die unser Problem höflich zur Kenntnis nimmt, uns jedoch ein klares erstes Signal sendet. Wir sind allein gegen alle, gegen Märkte, die unsere Entschlossenheit auf die Probe stellen und nicht einfach nachgeben werden. Niemand kann den Ausgang dieses Tauziehens voraussagen, in dem sich das Misstrauen gegenüber der Währungen der großen Wirtschaftsmächte mit dem absoluten Vertrauen auf die Devise eines kleinen, finanziell gesunden, stabilen und vorhersehbaren Landes konfrontiert.“ – Le Temps

„Willkommen im Euro-Club“, schreibt das Handelsblatt und illustriert diesen Titel durch eine Fotomontage der EU-Flagge vor dem Matterhorn. Für die Wirtschaftszeitung aus Düsseldorf geht mit dem Entschluss der SNB „eine Ära zu Ende“. Die Schweiz, deren Unabhängigkeit seit jeher zur „Staatsräson“ gehört, koppelt ihre Währung an den Euro. Die exportlastige Industrie musste unter dem starken Franken zu sehr leiden. Die Kollegen der Welt stellen hingegen fest, dass es in Europa „keine Inseln mehr“ gibt:

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„Viele Jahre hatte die Schweiz einen beneidenswerten Sonderstatus in Europa. Es galten niedrige Kapitalsteuersätze, ein unerschütterliches Bankgeheimnis, die Wirtschaft war stabil“, erinnert die Berliner Tageszeitung. Doch „die zu starke Heimatwährung ist eine existenzielle Bedrohung für Tourismus und Exportindustrie“. Tatsächlich macht diese Entscheidung zweierlei deutlich: Die „vermeintliche Insel“ ist in Wirklichkeit „eng mit der Eurozone verbandelt“ und die Schweiz „wird zwangsläufig immer europäischer“. „Zweitens: Ein weitverzweigtes Wirtschaftssystem kann hohen Druckunterschieden nicht lange standhalten.“ – Handelsblatt

„Der Franken zieht an“, titelt die Gazeta Wyborcza und bemerkt, dass „die Schweizer Regierung alle in Verlegenheit gebracht hat, indem sie einen unteren Grenzwert für den Wechselkurs ihrer Währung festgesetzt und angekündigt hat, sie werde diesen bis zum Ende verteidigen“. Für die Warschauer Tageszeitung

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ist „dieser Eingriff (...) eine Verzweiflungstat der Schweizerischen Notenbank, die monatelang versucht hat, den Franken abzuwerten. Mit einer starken Währung werden alle Erzeugnisse „made in Switzerland“ auf dem Exportmarkt teurer, die Schweizer Unternehmen streichen Arbeitsplätze und die Schweizer tätigen ihre Einkäufe in den billigeren Nachbarländern. Über welche Gegenwehr verfügt die SNB? Zunächst einmal über enorme Finanzreserven; weiter kann sie Geld drucken. Das tun die europäische und die amerikanische Zentralbank auch, wenn sie mehr Liquiditäten brauchen, um Staatsanleihen der bankrottgefährdeten Ländern aufzukaufen“. – Gazeta Wyborcza

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